Überlieferungsweisen Betrachtungsweisen Gebrauchsweisen

Bedeutungszuweisungen an Artefakte der Hellseherei in Europa vom 17. bis zum frühen 20. Jahrhundert

Förderung: Deutsche Forschungsgemeinschaft
Antragsteller:
Dr. Thomas Eser, Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg
Prof. Dr. Ulrike Ludwig, Lehrstuhl für die Geschichte der Frühen Neuzeit der Westfälischen Wilhelms-Universität, Münster

Teilprojekt GNM: Artefakte der Zukunftsdeutung
Laufzeit: Januar 2018 – Juni 2020
FAU Projektseite

Ein Forschungsvorhaben zum frühen Sammeln „abergläubischer“ Objekte der Zukunftsdeutung.

Wie halten wir es mit dem Blick in die Zukunft ? Haben Aufklärung und moderne Wissenschaft der alten Sehnsucht, zukünftigem Glück und Schicksal schon heute auf die Schliche zu kommen, endgültig den Garaus gemacht? Oder basieren heutige prognostische Praktiken der Vorhersehung und Heilsvorsorge insgeheim auf alten Kulturen des „Divinatorischen“, also der oft magischen Fähigkeit zur Zukunftsschau und vorbeugenden Daseinsvorsorge - von alltäglichem Wetterbericht und Aktienprognose bis hin zu existenzieller Krebsvorsorge und Klimawandelstreit? Und wie materialisiert sich diese Zukunftsschau in dinglichen Zeugnissen?

Von diesen Gegenwartsfragen begleitet wirft unser Projekt den Blick zurück auf die Frühzeit des Sammelns im Germanischen Nationalmuseum. Bereits Museumsgründer Hans von Aufsess hatte 1853 in seinem programmatischen „System“ einer idealen zukünftigen Sammlung Artefakte der Zukunftsdeutung als sammlungswert vorgesehen. Im Tonfall war diese Sammlungsaufgaben allerdings bereits mit gewisser Abschätzigkeit formuliert. Als Wissensfeld „Afterphilosophie“ sollte sie „Wahrsagerei, Chiromantie und Physiognomik, Traumdeuterei, Kartenschlagen“ umfassen. Das im Werden befindliche Museum habe sich zudem den Bereichen „Astrologie, Prognisticationen, Planetenbücher, Wetterbücher, Kalenderwesen […], Bauernkalender, Runenkalender“ anzunehmen.

Im Projekt untersuchen wir, ob und wie dieses Sammlungsvorhaben seit 1852 in die Tat umgesetzt wurde. Einen wichtigen Impuls gaben bald Sammlungszuwächse von unerwarteter, externer Seite: Seit 1872 übergab die Nürnberger Stadtbibliothek zahlreiche astronomisch-astrologische Instrumente aus der Frühzeit des europäischen Instrumentenbaus dem Museum als Dauerleihgaben, was zu museologischer Positionierung gegenüber der Astrologie Anlass gab. Ab 1884 etablierte die deutsche Apothekerschaft im Nationalmuseum ein „historisch-pharmaceutisches Centralmuseum“, dem von Beginn an auch das Sammeln alter magischer Arzneimittel zur Schadensabwehr anheimfiel, und das in Publikationen den Kontrast zur modernen Medizin hervorhob. Zur These steht dabei, dass die rasante Differenzierungs- und Modernisierungsdynamik zeitgenössischer Technik und Wissenschaft der Gründerzeit, mit ihren radikalen Auflösungen alter Professionsfelder, sowohl kritischer wie nostalgischer Bedeutungszuweisung an Artefakte des „Aberglaubens“ Vorschub leistete.
Wie diese Bedeutungsumwidmungen im Konkreten erfolgten, dem geht das Projekt anhand früher sammlungsgeschichtlicher Quellen des GNM nach. Ein Abgleich mit den Sammlungspraktiken anderer Großinstitutionen der europäischen Museumslandschaft um 1850/1900 ist ausdrücklich vorgesehen.

Das Projekt wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert und vom GNM gemeinsam mit Privatdozentin Dr. Ulrike Ludwig (Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg; Goethe-Universität Frankfurt a.M.) durchgeführt. Der Schwerpunkt dieses universitätsbasierten Projektanteils liegt auf der Untersuchung der Bedeutungszuweisungen an divinatorische Artefakte in höfischen Kunstkammern der Frühen Neuzeit. Im Projektteam sind zwei Doktoranden/Innen mit thematisch einschlägigen Doktorarbeitsthemen beschäftigt. Angeregt und unterstützt wird das Vorhaben vom „International Consortium for the Research in the Humanities Fate, Freedom and Prognostication" (Prof. Dr. Michael Lackner) der Universität Erlangen-Nürnberg, einem von zehn Käte Hamburger Kollegs in Deutschland. Dieser Partnerschaft verdankt unser Vorhaben den komparatistischen Input der Sinologie, und macht uns mit alten wie zeitgenössischen ostasiatischen Formen der Zukunftsdeutung vertraut.

Unser Vorhaben soll im Herbst 2020 in eine gemeinsam von allen drei Institutionen und Projektträgern vorbereitete Ausstellung im Germanischen Nationalmuseum münden. Sie wird die Frage nach historischen wie gegenwärtigen Konjunkturen des Divinatorischen um eine globale Ost-West-Perspektive erweitern.

Projektmitarbeiter

Prof. Dr. Ulrike Ludwig (Projektleitung)
Marie-Therese Feist M.A. (GNM, Mitarbeiterin)
Hadrian Mattern M.A. (WWU, Mitarbeiter)
Dr. Thomas Eser (Museen der Stadt Nürnberg, vorm. GNM)


Weitere Objekte des Forschungsprojekts

Astrologisch-Kalendarisches Scheibeninstrument
Material/Technik: Messing; getrieben, graviert, punziert, vergoldet
Datierung: Prag 1585