Albrecht Dürers frühe Federzeichnungen

Projektlaufzeit: 01.09.2011 - 31.12.2012
Förderung: DFG gefördertes Forschungsprojekt unter Leitung des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg und Beteiligung der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung, Arbeitsgruppe Kunst und Kulturgutanalyse
 

Das Vorhaben

Das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Projekt ist der Analyse der Tinten und Wasserzeichen ausgewählter Frühwerkszeichnungen Albrecht Dürers gewidmet. Wie auch bei anderen Künstlern setzen sich Dürers Zeichnungen oft aus verschiedenen Zeichen- und Schreibmaterialien auf einem Blatt zusammen. Für Darstellung und Beischriften wurden unterschiedliche Tinten verwendet. Diese Materialdifferenzen weisen auf den prozesshaften Umgang mit dem Werk hin, sei es durch Dürer selbst, der nachträgliche Werkoptimierung oder -systematisierung betrieb, oder auf sammlungspraktische Notationen späterer Generationen, bis hin zu modernen Fälschungsvorgängen.

Bisher interpretierte die Forschung solche Beschreibmitteldifferenzen subjektiv durch Augenschein. Werkverzeichnisse kommentieren zum Beispiel Signaturen oder Datierungen mit „von anderer Hand“ oder „in anderer Tinte“. Solche Aussagen sind naturgemäß subjektiv. Seit kurzem ist es der Kunsttechnologie möglich, die chemische Zusammensetzung historischer Tintenn ohne jeden Eingriff in die Zeichnung und dennoch präzise zu analysieren. Mittels Röntgenfluoreszenzanalyse und speziell entwickelter Quantifizierungsroutinen wird dabei ein „elementarer Fingerprint“ des Zeichenmaterials bestimmt.

In Anwendung dieser Technologie werden im Projekt ca. 50 frühe Dürerblätter mit besonders brisantem Interpretationsstand auf Diversität ihrer Tinten untersucht. Der jeweils blattimmanente Befund zum Verhältnis zwischen Zeichnung, Zeichnung auf der Rückseite, Zeichnungskorrekturen, aufgeschriebener Datierung, Signatur, Betitelung usw. wird handfeste neue Argumente für Diskussionen zu Authentizität, Datierung und Funktion des jeweiligen Blattes liefern. Weitere Visualisierungsverfahren werden den Wasserzeichen gelten.

Analyse von Eisengallustinten mit µ-RFA

Der zur Untersuchung in Frage kommende Bestand muss in Eisengallustinte ausgeführt sein. Bei deren Ausgangsmaterialien handelt es überwiegend um natürlich vorkommende Rohstoffe. Ihre anorganischen Bestandteile weisen – je nach temporär gefertigter, nur kurze Zeit haltbarer Mischung – eine heterogene Zusammensetzung auf: neben Eisensulfat meist auch Kupfer-, Mangan-, Aluminium- und Zinksulfat. Ihre elementare Zusammensetzung ist somit ein spezifisches Charakteristikum und dient als Unterscheidungsmerkmal. Aus dem allgemeinen Typus „Eisengallustinte“ wird ein individuelles, zeitlich begrenzt benutztes Zeichenmaterial, das in einer konkreten Zeichnung, deren diversen Passagen, Korrekturen, Beschriftungen etc. auf eine zeitlich homogene (= eine Tinte) oder aber etappenweise-prozesshafte Entstehung (= verschiedene Tinten) hinweist. Der Befund erlaubt so Rückschlüsse auf die zeitlich einheitliche oder etappenweise Entstehung, oder auf einen oder mehrere Autoren.

Messverfahren und Auswertung

Die Untersuchung mittels Micro-Röntgenfluoreszenzanalyse (µ-RFA) erlaubt die hochortsauflösende qualitative wie quantitative Elementanalyse bis in den Spurenelementbereich. Als Anregungsquelle dient eine 30-Watt-Röntgenröhre mit Molybdänanregung. Die Primärstrahlung wird durch eine Polykapillarlinse auf einen Messfleck mit einem Durchmesser von ca. 50 nm Durchmesser fokussiert. Die Detektion erfolgt mit einem Xflash-Detektor, einem energiedispersiven Silizium-Drift-Detektor mit thermoelektrischer Kühlung. Das Gerät ist so konzipiert, dass an der Luft gemessen werden kann. Die zusätzliche Ausstattung mit einer Heliumspülung ermöglicht die Detektion der so genannten leichten Elemente (Z < 20), die normalerweise nur durch Messung im Vakuum zugänglich sind. Das Gerät ist transportabel, so dass die Untersuchungen bei den Verwaltern der Zeichnungen durchgeführt werden können, die Zeichnungen also nicht außer Haus verbracht werden müssen.

Anschließend erfolgen RFA-Auswertung und Tintengruppenbildung. Aufgrund unterschiedlicher Schichtdicken der Tinten auf dem Papier ist eine absolute Quantifizierung der chemischen Zusammensetzung des Materials nicht immer bzw. nur eingeschränkt möglich. Zur Differenzierung verschiedener Tinten ist dies allerdings auch nicht notwendig. Stattdessen reicht die Angabe von relativen Konzentrationen der Nebenkomponenten bezogen auf die Hauptkomponente. Für die jeweilige Nebenkomponente (i) kann ein so genannter „fingerprint-Wert“ (Wi) angegeben werden. Sind zwei oder drei solcher Nebenkomponenten auf diese Art zu quantifizieren, ist eine Differenzierung der Eisengallustinten gut möglich, so dass Überarbeitungen, Korrekturen und Beischriften von der originalen „Zeichnungstinte“ (primäre Zeichnungspartien) unterschieden werden können.

Zur Geschichte der Tintenanlyse mittels µ-RFA

Die Idee, ein praktikables Verfahren zur zerstörungsfreien Analyse von schwarzen Schreibmaterialien zu entwickeln, entstammt einem Forschungsprojekt zu den Autographen Johann Sebastian Bachs (2003), in dessen Verlauf sich die archäometrische Charakterisierung von Eisengallustinten mittels Röntgenfluoreszenzanalyse (= RFA) entwickelte. Untersucht wurden inzwischen vorwiegend berühmte Autographen, etwa Georg Büchners oder Friedrich Nietzsches, aber auch Teile der Schriftrollenfragmente vom Toten Meer („Qumran“-Rollen) oder das Autograph der H-Moll Messe von Johann Sebastian Bach.

Durch entsprechende Analyse der verwendeten Eisengallustinten in der „Erfurter Bibel“ (Staatsbibliothek Berlin) konnte die komplexe Herstellungsgeschichte einer mittelalterlichen Prachthandschrift rekonstruiert werden. Kürzlich war das Verfahren zentraler Bestandteil des ebenfalls DFG-geförderten Projektes „Zu einer Typologie der niederländischen Zeichnung im 16. Jahrhundert“ des Kupferstichkabinetts Dresden, wobei erstmalig ein größerer heterogener Bestand von Zeichnungen kunstwissenschaftlich und materialtechnologisch untersucht wurde.

Wasserzeichenanalyse

Der Appell zur Beachtung von Wasserzeichen hat in der Dürerforschung Tradition. Bereits 1827 hatte Joseph Heller auf den Zusammenhang zwischen Wasserzeichenmotiv und Schaffensperiode verwiesen. Wasserzeichenbasierte Datierungen erfolgen auf der Grundlage des „Verwandschaftsverhältnisses“ der Zeichen. Werden identische – oder, mit definierten Einschränkungen, ähnliche – Wasserzeichen vorgefunden, kann die Verwendungszeit eines datierten Blattes mit einer zeitlichen Toleranz von +/- 2 bis 4 Jahren auf das zu datierende Blatt übertragen werden. Die Toleranz ergibt sich aus dem Verwendungszeitraum der Schöpfsiebe. Seit kurzem entstehen erste online-basierte Wasserzeichendatenbanken.

Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts wurden die Wasserzeichen zum Großteil von den Originaldokumenten durchgezeichnet. Allerdings überschreiten die Abweichung solcher Durchzeichnungen oft die zugestandene, maximal „einfache Strichstärke“, sind also ungenau. Auch motivisch unterlaufen in den Abzeichnungen oft Fehler. Zudem bleiben weitere Informationen über das jeweilige Papier unerfasst (Variation der Stegabstände, Ripplinienintensität, Drahtdicken, Hinweise auf die Papierqualität wie beispielsweise Knoten, Wassertropfen). In den vergangenen Jahrzehnten wurden deshalb eine Reihe alternativer Verfahren zur Wasserzeichenaufnahme entwickelt, wobei sich die am Niederländischen Kunsthistorischen Institut zu Florenz im Zusammenhang mit dem Aufbau der dortigen Wasserzeichendatenbank entwickelte Bildsubtraktionsmethode als besonders gut einsetzbar erwies. Sie soll an ausgewählten Dürerschen Frühwerkszeichnungen ergänzend zur Tintenanalyse zum Einsatz kommen.

Projektmitarbeiter

Dr. Thomas Eser
Iris Brahms M.A. (Werkvertrag)
 

Kooperationspartner

PD. Dr. rer. nat. Oliver Hahn
leitet die Arbeitsgruppe Kunst- und Kulturgutanalyse der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung in Berlin. Er besitzt eine langjährige Expertise in der Analyse historischer Zeichen- und Beschreibstoffe, insbesondere literarischer oder bildkünstlerisch wertvoller Dokumente.

Iris Brahms M.A.
legt derzeit an der FU Berlin ihre Doktorarbeit „wan an allen dingen ist lichts vnd finsters. Die nordalpine Tradition der Helldunkelzeichnung bis Albrecht Dürer“ vor. Sie war beteiligt an Ausstellungs- und Bestandskatalogen zur dürerzeitlichen Grafik in Berlin und Erlangen.

Dr. Georg Dietz
ist auf die Datierung von handgeschöpften und maschinengefertigten Papieren in Zusammenhang mit kunsthistorischen und kriminaltechnischen Fragestellungen spezialisiert. Er ist federführend beteiligt an Konzeption, Aufbau und Pflege moderner, web-basierter Wasserzeichenfindsysteme.


Weitere Objekte des Projekts