Passion Christi

Prof. Dr. Daniel Hess | 09.04.2020


Die Karwoche in der Bilderwelt des Germanischen Nationalmuseums

Dieses Jahr werden weder Gottesdienste oder Messen, noch Karfreitagsliturgien oder Ostermetten stattfinden: Ich lade Sie daher ein, die Passionsgeschichte von Palmsonntag bis Karfreitag anhand einiger mittelalterlicher Gemälde im Germanischen Nationalmuseum zu erleben. Wie zeigen diese die Passion Christi? Wissen Sie, was ein Angst-Altar ist und was hinter dieser Bezeichnung steckt? Was passierte an Palmsonntag, Gründonnerstag oder Karfreitag? Und wie „las“ der Betrachter einst die Darstellungen der Kreuzigung Christi? Diese und weitere Fragen möchte ich Ihnen gerne an ausgewählten Gemälden beantworten. Zur Untermalung lege ich Ihnen die beiden Passionsmusiken von Johann Sebastian Bach nahe, etwa die Johannes Passion in der Aufnahme von John Eliot Gardiner.


der betrachter wird zum augenzeugen

Das Spätmittelalter war eine Welt der Bilder: Die Illusion des Gemalten sollte so vollkommen sein, dass der Betrachter quasi zum Augenzeugen der dargestellten Ereignisse wurde. In den Passionsbildern sollte er das Leid des Gottessohnes unmittelbar nacherleben können. Nie zuvor war die Passionsgeschichte deshalb drastischer, blutiger und brutaler in Szene gesetzt worden. Um eine direkte Verbindung zu Christus zu schaffen, spielen die Szenen im Hier und Jetzt des spätmittelalterlichen Betrachters.


Palmsonntag: Einzug in jerusalem

Die Karwoche beginnt mit dem Einzug Christi in Jerusalem am Palmsonntag. Hierfür holte man die im Speicher oder auf dem Dach verwahrten Palmesel hervor, die Sie heute auch in unserem Museum sehen können. Diese mittelalterlichen Palmesel waren ursprünglich mit Rädern versehen und wurden auf den Palmsonntagsprozessionen mitgeführt. Die Mesnerpflichtbücher der Nürnberger Lorenz- und Sebalduskirche (vgl. S. 18ff.) aus dem ausgehenden 15. Jahrhundert machen dazu genaue Angaben.

Bereits eine Woche zuvor waren in den Kirchen die Kruzifixe zum Zeichen der Trauer verhüllt und die Flügelaltäre zugeklappt worden. Im geschlossenen Zustand zeigten sie nun die Passionsgeschichte. Die Zyklen setzen dabei auf möglichst dramatische Bildwirkungen. Schauen wir genauer hin.


gründonnerstag: die angst christi am ölberg

Das wichtigste liturgische Ereignis ist das Abendmahl, doch spielt dieses in den gemalten Zyklen eine weniger wichtigere Rolle als die Ölbergszene. In der Ölbergszene konnte der Maler seine gesamte dramaturgische Gestaltungskraft entfalten. Ziel war eine möglichst wirksame Inszenierung der Angst und Einsamkeit Christi in nächtlichem Dunkel. So zeigt unser Gemälde aus einem sogenannten Angst-Christi-Retabel, wie die Soldaten und der von der Fackel grell beleuchtete Verräter Judas gerade in den Garten treten. Bedrohlicher könnte die Angst Christi, die dem Altar seinen Namen gegeben hat, nicht gezeigt werden. Sie wird über Christus hinaus zum Sinnbild menschlicher Ängste schlechthin.

Die Ölbergszene war tief im damaligen Alltag verankert: Jede Woche erinnerte am Donnerstagabend oder Freitagmittag eine Glocke an die Todesangst Christi. In der Karwoche schwiegen die Glocken bis Ostern; es heißt, sie flögen nach Rom. Bis zu ihrer Rückkehr ertönen in manchen Regionen noch heute Ratschen, Klappern oder Schlagbretter.


KArfreitag: von der verurteilung bis zur kreuzigung

Ein zweiter Angst-Altar unserer Sammlung konzentriert die folgenden Episoden auf eine einzige Szene. Die Henker mit fratzenhaften Gesichtern laden Jesus brutal das Kreuz auf, und Christus bricht zum ersten Mal unter der Last zusammen. Simultan ist im Hintergrund der vorangegangene Disput zwischen Pilatus und seiner Frau gezeigt: Sie warnte den römischen Statthalter, keinen Unschuldigen zu verurteilen.

Andere Altäre zeigen auch, wie Pilatus seine Hände in Unschuld wäscht, ferner die Vorführung Christi vor der aufgebrachten Menge, die seine Kreuzigung fordert. In Bachs Passionen gipfelt die eindringliche Vertonung der Qualen Christi im Choral: „Oh Haupt voll Blut und Wunden“.

Wie unmittelbar die Brutalität des Passionsgeschehens auf den mittelalterlichen Menschen wirkte, verdeutlicht eine kleine Andachtstafel aus der Zeit um 1400/20. Es ist ein frühes Beispiel einer besonders dramatischen Schilderung der Passion, bei der viel Blut fließt. Die vielen Wunden, mit denen Christus übersät ist, verdeutlichen spätmittelalterlichen Passionstexten zufolge die zahllosen Sünden der Menschheit; die Nacktheit ist ein Zeichen der besonderen Blöße und Erniedrigung. Erschütternd ist auch das Motiv der Steine werfenden Kinder am unteren Bildrand; selbst sie werden für Gewalttaten gegen Christus instrumentalisiert. Darüber hinaus ist die Tafel ein einzigartiges Zeugnis der spätmittelalterlichen Passionsfrömmigkeit: Zur besseren Einprägung und Vergegenwärtigung sind die Szenen anschaulich geschildert. Der Betrachter konnte so im kontemplativen Mitleiden die Nachfolge Christi unmittelbarer und authentischer nachvollziehen. Die emotionale Anteilnahme ging so weit, dass er die Gesichter jener Schergen zerkratzte, die Christus in besonderer Weise zusetzen. Die Bilder taten offenbar ihre beabsichtigte Wirkung!


die kreuzigung Christi

Die Passion gipfelt in der Kreuzigung. Sie dürfte auf dem Mittelbild unseres Altärchens dargestellt gewesen sein. Kreuzigungsdarstellungen sind in der Sammlung des GNM zahlreich vertreten.

Kreuzigung Christi
um 1430
       
    
Kalvarienberg
1440/50
Kalvarienberg
um 1450/55
Kalvarienberg, Hans Pleydenwurff
um 1456
Kalvarienberg, Meister der Heiligen Sippe
um 1480
Kalvarienberg, Werkstatt Wolfgang Katzheimers d.A.
um 1480/90
Kreuzigung Christi
um 1430
       
    
Kalvarienberg
1440/50
Kalvarienberg
um 1450/55
Kalvarienberg, Hans Pleydenwurff
um 1456
Kalvarienberg, Meister der Heiligen Sippe
um 1480
Kalvarienberg, Werkstatt Wolfgang Katzheimers d.A.
um 1480/90

Wir konzentrieren uns auf eine Kreuzigung aus Kempten aus der Zeit um 1460/70: Die Ereignisse sind wie in den zeitgenössischen Passionsspielen detail- und wortreich inszeniert. Dem schaulustigen Publikum werden viele Einzelepisoden und die zentralen Bibelstellen vor Augen geführt. Zitiert sind unter anderem die Worte Christi, der beiden Schächer und des erkennenden Hauptmanns. Zentral ist die Gestalt des blinden Longinus, der Christus die Seitenwunde öffnet und durch das ausströmende Blut sein Augenlicht wiedererlangt. Den Schächern wurden die Beine zerschlagen, den linken empfängt ein Engel, den rechten der Teufel. Die Schilderung vereint Trauer und Glaubenserkenntnis mit Spott und roher Gewalt.


Die Passion christi: überwindung von schmerz und leid

Nach mittelalterlicher Vorstellung ist der Tod nur ein Übergang vom irdischen zum ewigen Leben. Es galt, gut darauf vorbereitet zu sein, weshalb man den Tod täglich vor Augen haben sollte. Ich werde mich diesem Aspekt in einem meiner kommenden Blog-Artikel widmen: Wege zum Selbst und vom Wert des Rückzugs in die Meditation. Vor dem Hintergrund der beständigen Vergegenwärtigung des Lebens sind die mittelalterlichen Passionsbilder bei weitem nicht nur als drastische Illustrationen des qualvollen Todes des Gottessohnes zu verstehen. Als solche werden sie etwa im kontrovers diskutierten Passionsfilm von Mel Gibson verarbeitet, der damit letztlich nur eine cineastische Gewaltorgie bleibt. Die mittelalterlichen Passionsbilder dagegen sollten den Betrachter nicht nur schockieren, sondern die einzelnen Ereignisse in die Lebenswelt des Betrachters holen und ihn zum Mitleiden anregen. Im Laufe seiner Bildbetrachtung sollten die äußeren zu inneren Bildern werden.

Im Spätmittelalter verändert sich das Bild des Gekreuzigten, der Akzent lag auf Leid und Trauer. Die früheren, romanischen Kruzifixe zeigen Christus dagegen als siegreichen König mit Krone, der den Tod überwunden hat und über ihn triumphiert. Heute bieten sich beide Lesarten an: Das Kreuz erinnert einerseits an das Leid, das Christus für die Menschen auf sich genommen hat. Zugleich ist es ein Zeichen des Sieges über den Tod und damit auch ein Zeichen der göttlichen Gnade, die dem Menschen zuteilwird.

 


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