Privatsphäre

Thomas Aufleger M.A. | 28.05.2020


Privatsphäre „Nur ein Zimmerchen irgendwo …“


Sich zurückziehen, andere Menschen und damit die Welt „da draußen“ meiden - für viele von uns eine belastende Herausforderung. Den unerhörten Luxus eines eigenen Zimmers, eines Refugiums, das man jederzeit für sich in Anspruch nehmen und nach seinen eigenen Wünschen individuell gestalten kann, sollten wir dabei nicht unterschätzen. Er ist für uns zur Selbstverständlichkeit geworden. Doch war das immer so?


Interieur - Ein Zimmer geht um die Welt

Noch im 19. Jahrhundert, einem Zeitalter, in dem ganze Familien dicht gedrängt zusammenlebten, wurde das Privileg von privater Sphäre nur Wenigen zuteil. Raum, das bedeutete einerseits die Zurschaustellung von Macht und Reichtum, von sozialer Überlegenheit und höfischem Zeremoniell. Andererseits gab es Räume, die allein ihren Eigentümern vorbehalten waren.

Den ganz persönlichen Rückzugsort der Herzogin Auguste von Sachsen-Coburg-Saalfeld (1757-1831) zeigt ein kostbares Aquarell aus den Beständen unserer Graphischen Sammlung. Es handelt sich um ein sogenanntes „Interieur“ oder „Zimmerbild“, eine Kunstform, die ihre Blüte in der Zeit des Biedermeier erlangte: spezialisierte Maler wurden beauftragt, die zeremoniellen und privaten Räume ihrer Auftraggeber in kleinformatigen Kunstwerken zu dokumentieren. Diese Aquarelle wurden in Alben gesammelt, häufig kopiert und vermittelten somit auch weit entfernt lebenden Freunden und Verwandten einen Eindruck des eigenen Lebensumfeldes. So finden sich Doubletten ein und desselben Raumes in den kaiserlichen oder königlichen Sammlungen von St. Petersburg bis London. Das kleine fränkische Coburg hatte an diesem weitverzweigten verwandtschaftlichen Netz keinen geringen Anteil. Und das nicht zuletzt dank Herzogin Auguste!


Herzogin Auguste von Sachsen-Coburg-Saalfeld - Eine resolute Bewohnerin


Wer also war die Bewohnerin des kuscheligen Erkers? Geboren wurde sie 1757 als Tochter des Grafen von Reuss zu Eberdorf. Aufgrund ihrer von Zeitgenossen gerühmten Attraktivität, hohen Bildung und – häufig angemahnten – resoluten Art befand ihr Vater, sie habe das Zeug zu einer Fürstin. Durch die Heirat mit dem Thronerben des herzoglichen Hauses Sachsen-Coburg-Saalfeld erklomm Auguste schlussendlich noch eine weitere „Karriere“-Stufe innerhalb der Adelshierarchie. Ihre eigenen Kinder, so die Ansicht der ehrgeizigen Auguste, sollten nach Möglichkeit noch höher hinaus. Als Zarin Katharina II., Herrscherin über ein Weltreich, eine passende Gemahlin für einen ihrer Enkelsöhne suchte, weckten auch die Töchter der Coburger Herzogin ihr Interesse. Mit gleich drei Mädchen im Gepäck – sicher ist schließlich sicher – reiste Auguste nach Russland: und kehrte mit nur zweien zurück! Zu ihren unmittelbaren Nachkommen zählen u.a. Englands Queen Victoria, König Ferdinand von Portugal, König Leopold I. von Belgien und Zar Ferdinand von Bulgarien.


Bei Coburgs unterm Dach


Doch von Europa zurück in unser fränkisches Schlafzimmer: Die Ursprünge der Interieurmalerei beginnen freilich bereits lange bevor Augustes Refugium auf Papier festgehalten wurde. Raumdarstellungen, die als eigenständige Kunstwerke galten, finden wir bereits im 15. Jahrhundert in Florenz, aber auch bei den flämischen Meistern, deren perspektivische, auf Licht- und Schattenwirkung ausgerichtete Arbeiten zu begehrten – und hochpreisigen – Sammlerstücken wurden. Das Blatt mit dem kleinen schlicht möblierten Erkerzimmer, das der Herzogin als Schlafraum und Boudoir diente, war hingegen ausschließlich für die Augen ihrer nächsten Angehörigen bestimmt (und natürlich für all unsere Blog-Leser!). Der Raum befindet sich, wenn auch stark verändert, bis heute im Dachgeschoss des idyllisch gelegenen Schlosses Rosenau bei Coburg. Das geschichtsträchtige Haus, das vermutlich im beginnenden 15. Jahrhundert als Rittersitz errichtet worden war, wurde nach mehrfachem Besitzerwechsel 1805 durch Franz Friedrich von Sachsen-Coburg-Saalfeld, Augustes Ehemann, als Sommerresidenz erworben. Durch seinen plötzlichen Tod konnte er die Vollendung ihres edlen Innenausbaus zwar nicht mehr erleben, die Vorliebe der nachfolgenden Generationen für dessen Dokumentation aber hat er zweifelllos initiiert: seine Sammlung von mehr als 300.000 (!) Grafiken, darunter auch zahlreiche Interieurs, zählt heute zu den Schätzen der Kunstsammlungen der Veste Coburg.

So zeigt sich auch Augustes Schlafzimmer auf dem Höhepunkt des Zeitgeschmacks: kein geringerer als Stararchitekt Friedrich von Schinkel entwarf die gotisierenden Spitzbögen, die sich hier über blau marmorierten Wänden wölben. Das zurückgeschlagene Federbett und der lässig über eine Sofalehne geworfene Schal deuten auf Nutzung und Alltäglichkeit. Der Eindruck jedoch täuscht. Unser Aquarell dokumentiert lediglich die Erinnerung an Raum und Bewohnerin: als der Maler Krüppel 1832 mit der Dokumentation des Zimmers beauftragt wurde, war Auguste eben verstorben, die Umgestaltung ihres Refugiums stand unmittelbar bevor.

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