Vorsicht Manipulation

Prof. Dr. Daniel Hess | 06.06.2020


vorsicht Manipulation!
Welchen Bildern können wir trauen?

 

Viren und Bakterien können erst seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert nachgewiesen werden; das Corona-Virus ist 120 bis 160 Nanometer groß (ein Nanometer ist ein millionstel Millimeter) und wird unter dem Elektronenmikroskop als kleines, schwarzweißes Rädchen mit stachelförmigen Fortsätzen sichtbar. Daraus wurde ein medienwirksames Bild generiert. Es orientiert sich an wissenschaftlichen Befunden, soll in seiner spezifischen Ausformung und Farbgebung aber auch die von ihm ausgehende Gefahr verdeutlichen. In diesem millionenfach verbreiteten Bild hat das Corona-Virus für uns Gestalt angenommen.

Wie vertrauenswürdig, wie objektiv sind solche Bilder? Mit Bildbearbeitungsprogrammen lässt sich heute jede gewünschte Wirkung erzeugen: Gibt es überhaupt ein objektives Bild? Auch viele wissenschaftliche Bilder sind manipuliert, um Befunde anschaulich zu machen und zu interpretieren. Dass dies nicht erst heute so ist, zeigt das prominente Beispiel von Albrecht Dürers Rhinozeros. In der Renaissance und im Kontext der Reformation spitzte sich die Frage nach der Objektivität von Bildern zu.


Dürers Rhinozeros von 1515

1515 hatte in Lissabon ein Nashorn aus Goa für Aufregung gesorgt. Der portugiesische König Manuel I. hatte es aus der neuen indischen Kolonie mitbringen lassen, um es dem Papst zu schenken. Doch zunächst sollte die antike Legende überprüft werden, der zufolge das Nashorn das stärkste Tier der Welt sei und mit seinem Horn dem Elefanten den Bauch aufreiße. Manuel ließ die beiden Tiere gegeneinander antreten, der Elefant ergriff sogleich die Flucht. Die Geschichte zirkulierte sofort in Europa. Dürer erhielt einen schriftlichen Bericht, vielleicht auch eine ungefähre Skizze. Doch gibt sein Holzschnitt das Nashorn nicht realistisch wieder, sondern weicht in entscheidenden Merkmalen von der Natur ab. Dennoch definierte Dürers Darstellung bis zum 18. Jahrhundert, wie man sich ein Nashorn vorzustellen habe: als monumentales, gepanzertes Ungetüm und als stärkstes Tier der Welt. Dürer ließ sich von den Nürnberger Harnischmachern und Plattnern inspirieren und versah sein Nashorn mit entsprechenden Panzerungen.


Die naturwissenschaftliche Illustration


Bilder bestimmten auch die im 16. Jahrhundert aufblühende Gattung naturwissenschaftlicher Tier- und Pflanzenbücher, da Illustrationen eine präzisere Vorstellung garantierten als Beschreibungen, wie einige der führenden Naturgelehrten behaupteten. Die Aufgabe der Illustratoren erschöpfte sich jedoch nicht in der Wiedergabe der spezifischen Eigenschaften einer individuellen Pflanze oder eines Tieres, vielmehr sollten die Abbildungen die Charakteristika hervorheben und verdeutlichen.

Die Illustrationen beruhen auf der Beobachtung der Natur, beziehen jedoch auch die Untersuchung etwa von Pflanzen in Reihen und über längere Zeiträume ein, um allgemeingültige Merkmale und physiologische Spezifika darzustellen. Gleichzeitig machen schon die ersten Illustrationen von der Möglichkeit Gebrauch, neben einer Gesamtabbildung auch Details wie Blätter, Blüten, Fruchtkapseln und Samen etc. wiederzugeben. Es entstehen die ersten wissenschaftlichen Atlanten, die ein wichtiges Fundament der frühneuzeitlichen Forschungsarbeit bilden.


Die Naturabgüsse Wenzel Jamnitzers


Nicht nur um ein möglichst präzises Abbild, sondern um eine täuschende Naturimitation ging es dem Nürnberger Goldschmied Wenzel Jamnitzer mit seinen Naturabgüssen von Tieren und Pflanzen. Sie wurden zu seinem Markenzeichen. Die Eidechsen (s. Titelbild) erscheinen höchst lebendig, inmitten einer spontanen Körperbewegung, mit aufgerissenen Mäulern. Dies erforderte höchste Handfertigkeit bereits bei der Präparation. Um die Naturimitation zu vervollkommnen, waren die Tiere ursprünglich mit farbigen Lacken bemalt. So erweckten sie bei flüchtigem Blick den Eindruck, lebendig zu sein. Die Grenzen zwischen Natur und Kunst verwischten sich: Im täuschenden Spiel zwischen Natur und Artefakt lag der besondere Reiz solcher Kunstkammerstücke.


Wie authentisch ist ein Bildnis?


Auch Bildnisse sollten möglichst lebensecht wirken und die Erinnerung an einen Menschen über den Tod hinaus bewahren. Die Bildnismaler der Renaissance überboten sich im Wettstreit um möglichst naturgetreue Porträts und sorgten damit auch für ihre eigene Unsterblichkeit. Lucas Cranach d.Ä. etwa scheute sich nicht, im Bildnis des Humanisten Christoph Scheurl folgende Inschrift anzubringen:

"Wenn Scheurl Dir bekannt ist, Wanderer, wer ist mehr Scheurl, der hier gemalte oder die Dir vertraute Person?"

Das Porträt liefere ein getreueres Bild vom Wesen der dargestellten Person als die leibhaftige Begegnung. Wie die oben behandelten Pflanzendarstellungen sollten Kunstwerke in der Lage sein, die Spezifika einer Persönlichkeit über den flüchtigen Moment hinaus ins Bild zu bannen.

Andererseits, und das dürfte auch schon damals jeder kundige Betrachter gewusst haben, waren Bildnisse meistens geschönt. Eine ihrer Aufgaben war nicht zuletzt die Braut- und Hochzeitswerbung, und wer wollte dabei nicht Eindruck und eine gute Figur machen?
Für eine Optimierung seiner Erscheinung sorgte auch Kaiser Maximilian I., der größte Kunstmäzen der Dürerzeit: Sein Bildnis war im gesamten Reich omnipräsent. Dafür sorgten neben Bildnissen, Glasgemälden oder Ofenkacheln insbesondere Münzen und Medaillen. So sehr diese Bildnisse auch bereits idealisiert waren, bemängelte er an einem Probestempel für sein Bildnis auf einem Taler doch, dass die Nase zu hoch, die Brust zu dick und der Bauch zu groß geraten seien.

Wenn einem das Leben ewige Jugend und Schönheit versagte, so sollte wenigstens die Kunst die gewünschte Erscheinung und dies sogar über Lebzeiten hinaus garantieren.

Kaiser Maximilian I.
Ofenkachel, Mitte 16. Jh.
       
    
Kaiser Maximilian I.
Albrecht Dürer, Porträt, 1519
Kaiser Maximilian I.
Bildnis, nach 1518
Kaiser Maximilian I.
Medaille, 1516
Kaiser Maximilian I.
Ofenkachel, Mitte 16. Jh.
       
    
Kaiser Maximilian I.
Albrecht Dürer, Porträt, 1519
Kaiser Maximilian I.
Bildnis, nach 1518
Kaiser Maximilian I.
Medaille, 1516

Vom Naturbild zum Bildprozess

Wie der frühneuzeitliche Betrachter lassen auch wir uns gerne von gemalten Spinnweben und Fliegen täuschen und bewundern die Kunstfertigkeit der Maler. Alle Realität simulierenden Bilder – seien sie gemalt, fotografiert oder im Computer generiert – zeigen eine interpretierte und damit manipulierte Natur, um eine spezifische Aussage zu treffen. Die um Objektivität bemühten naturwissenschaftlichen Bilder der Frühen Neuzeit gerieten mit der Erfindung der Fotografie in die Kritik. Fortan galt nur mehr das von mechanischen Apparaten hergestellte Bild als authentisch. Seit dem 20. Jahrhundert bestimmen digitale Methoden die Produktion und Bearbeitung von Bildern. Bilder können seither gedreht, gezoomt, koloriert, zugeschnitten und verzerrt werden. Ihrer Verführungskraft sind kaum mehr Grenzen gesetzt, und der Betrachter ist gefordert, die jeweilige Botschaft zu entlarven.


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