Hallo, Dr. Karin Rhein

Dr. Karin Rhein | 17.11.2022


Andrea Langer Der Blick in Ihre Vita erweckt den Eindruck, dass das Museum seit Studienzeiten Ihr Wunscharbeitsplatz war. Ist das richtig? Bitte stellen Sie sich unseren Leser*innen kurz vor.

Karin Rhein Das stimmt, aber auch als Kind bin ich schon gerne ins Museum gegangen. Meine Eltern ließen mich einfach schauen und entdecken – alte Kunst und moderne, Malerei, Technisches oder Volkskunst. Es war nie mühsam, sondern hat Spaß gemacht. Gemälde haben mir gefallen, wenn sie Geschichten erzählt haben. Mit meiner Großmutter bin ich immer wieder vor Cranachs „Der Jungbrunnen“ stehen geblieben, bei dem die alten Leute ins Wasser steigen und jung wieder herauskommen. Das hat uns beiden gefallen.   

Während des Studiums absolvierte ich dann Praktika in zwei Berliner Museen – im Hamburger Bahnhof und in der Neuen Nationalgalerie. Da hat es mich völlig gepackt.
Ich bin in Berlin aufgewachsen und studierte dort Kunstgeschichte, Theaterwissenschaft und Soziologie. Bei einem Auslandsjahr in Straßburg stieß ich auf den Orientalismus, der zu meinem Dissertationsthema wurde. In der Folge des Ägypten-Feldzuges Napoleons setzte im 19. Jahrhundert auch in Deutschland ein großes Interesse an der wissenschaftlichen Erkundung dieses Landes und eine Ägyptenmode ein. Künstler begleiteten Expeditionen und Reisen Adliger. Später bewegten sie sich aus eigener Initiative auf den Pfaden des Tourismus, die sie ins „Heilige Land“, nach Nordafrika oder ins Osmanische Reich führten und lieferten den Kunstsammlern „exotische“ Motive und meist idealisierte Bilder vom Nil, aus der Wüste, aus Konstantinopel oder Kairo. Hierbei gab es einige Spezialisten, wie Wilhelm Gentz, Gustav Bauernfeind oder Adolph Schreyer.

Meine ersten beruflichen Schritte als Volontärin konnte ich im Bucerius Kunst Forum in Hamburg und bei den Staatlichen Museen zu Berlin machen. Dabei habe ich viel über Ausstellungsplanung und Sammlungsbetreuung gelernt. Es war außerdem möglich, dort erste eigene Projekte umzusetzen, z. B. eine kleine Ausstellung über die Ideallandschaften Jakob Philipp Hackerts.

Ein Höhepunkt war die Mitarbeit als Ko-Kuratorin bei der Ausstellung „Kleopatra und die Cäsaren“ in Hamburg. Nach einem weiteren Jahr freier Mitarbeit an der Hamburger Kunsthalle ging es 2009 ins Museum Georg Schäfer nach Schweinfurt. Es ist auf die Kunst des 19. Jahrhunderts aus dem deutschsprachigen Raum spezialisiert. Dort betreute ich die Graphische Sammlung, kuratierte Ausstellungen und kümmerte mich um die Öffentlichkeitsarbeit.


Nach 13 Jahren in leitender Funktion am Museum Georg Schäfer in Schweinfurt, wechseln Sie an das GNM. Was hat Sie zu diesem Schritt bewogen?

Da gibt es eine ganze Reihe von Gründen: die Vielfalt der Sammlung, die herausragenden Werke im Bestand zum 19. Jahrhundert, die Möglichkeit zum Forschen und Ausstellen, das sammlungsübergreifende Denken und Arbeiten, die innovativen Ideen für Vermittlung, die Möglichkeit zur Zusammenarbeit mit dem Institut für Kunsttechnik und Konservierung… Ein besonderer Anreiz bietet aber vor allem die Aufgabe, in den nächsten Jahren die Neukonzeption der Dauerausstellung 19. Jahrhundert zu betreuen. Eine einmalige Chance!

Ich freue mich auch auf Nürnberg, das mit Geschichte, Architektur, Museen, Theatern, Oper und seinem schönen Umland so viel zu bieten hat.

 


Wie verlief Ihr Start am GNM? Konnten Sie sich schon einen ersten Überblick über Ihre Sammlung und Aufgaben verschaffen?

In der ersten Woche ging es mit Besucher*innen-Anfragen, vielen Treffen, Rundgängen und Einführungen gleich mitten hinein ins Geschehen. Die Kolleg*innen empfinden mich sehr herzlich und sind sehr hilfsbereit. Nun gehe ich möglichst oft in die Ausstellung und in die Depots, um alles kennenzulernen oder zumindest schon mal gesehen zu haben. "Meine" Sammlung umfasst Gemälde, Skulpturen, Kunsthandwerk und Alltagsgegenstände, viele unterschiedliche Materialien, Größen, bekannte und unbekannte Künstler und Hersteller.  


In Ihrer Doktorarbeit befassten Sie sich bereits mit dem 19. Jahrhundert. Was fasziniert Sie an dieser Epoche?

Ganz kurzgefasst: die großen Umbrüche, Entwicklungen, Sehnsüchte und Ideen, die oft bis heute nachwirken. Das 19. Jahrhundert war ereignisreich mit Kriegen, Revolutionen, dem technischen Wandel, den immer schneller aufeinander folgenden Kunststilen.

Daraus entstanden Ängste, Ideale, aber auch Irrwege, aus denen wiederum in Philosophie, Kunst, Literatur, Kunstgewerbe oder Musik so viel Spannendes hervorging. Dazu kommt die Begeisterung für das Ausloten von Grenzen, zum Beispiel in der Romantik, die Beschäftigung mit Mythos, Märchen, Geschichte und Sprache. Und es gab so viele faszinierende, sehr unterschiedliche Persönlichkeiten – die Brüder Grimm, Carl Spitzweg, Richard Wagner.

Themen des 19. Jahrhunderts sind noch aktuell. Das reicht von Demokratie- und Emanzipationsbestrebungen, über Nationalismus, Antisemitismus, die Sehnsucht nach heiler Welt, Sorgen um die Zerstörung der Natur, Technisierung, den Einfluss der Medien, die Angst vor Impfungen bis hin zum Wiederaufkommen von Modetrends.

 


Gibt es ein Lieblingsobjekt oder eine überraschende Geschichte, mit dem/der Sie unsere Gäste einladen, das „19. Jahrhundert“ im GNM zu besuchen?  

Ein Gemälde, das ich schon als Besucherin wunderbar fand, ist Adolph Menzels „Platz für den großen Raphael“ von 1855/59. Menzel, der ja als ziemlich kauzig bekannt war, sagte zu seinem Bild, es zeige den "häuslichen August in seiner augenblicklichen Funktion als Möbelschieber in Sachen eines Höheren". Dargestellt ist, wie der sächsische Kurfürst Friedrich August II. seinen Thron beiseiteschiebt, um 1754 Platz für Raphaels berühmte „Sixtinische Madonna“ zu schaffen. Er soll dazu gesagt haben: „Platz für den großen Raphael“.

Herrlich ist die Malerei Menzels, die Wirkung der Stoffe und des Lichts, aber ganz besonders auch die Charakterisierung des Kurfürsten. In einer für einen Herrscher untypisch ungeduldig, neugierigen Diensteifrigkeit rückt er seinen Thron weg. Menzel sieht die Raphael-Verehrung seiner Zeit ironisch. Amüsant ist, dass er das Wichtigste der „Sixtinischen Madonna“ nicht zeigt: Die Köpfe der Madonna und des Christuskindes sind auf seinem Bild abgeschnitten und die beiden Engelchen auch nicht zu erkennen. Das Motiv zeigt aber auch die Idee vom Vorrang des genialen Künstlers vor allen anderen, selbst dem gekrönten Haupt. Der Künstler- und Personen-Kult ist ein großes Thema des 19. Jahrhunderts.

Herzlichen Dank für das Gespräch, liebe Frau Rhein. Ich wünsche Ihnen alles Gute am GNM und freue mich auf die Zusammenarbeit.


Kommentare

22.11.2022 | Bernhard von Tucher

Sehr geehrte Frau Dr. Rhein, ein herzliches Willkommen in Franken! | GNM_BLOG ANTWORTET: Herzlichen Dank!


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