
Erotik und Verführung
Mehr Zeit für Erotik und Verführung: Von Weibermacht und Liebesnarren
Im Frühjahr 1348 fliehen sieben Frauen und drei Männer vor der Pest in Florenz nach Fiesolo. Dort erzählen sie sich zur Unterhaltung jeden Tag zehn Geschichten: So schildert es Giovanni Boccacio in seinem Decamerone. Die Themen umfassen das ganze damalige Leben, auch Erotik und Sinnesgenuss kommen nicht zu kurz. Höchste Zeit für einen entsprechenden Streifzug im GNM zu Corona-Zeiten. Was macht Gemälde mit der Göttin der Liebe so verführerisch? Wer erliegt der hüllenlosen Schönheit? Wie sind solche Bilder in unserem Zeitalter der Hypermoral und Political Correctness zu verstehen?
Weiberlist und Tugendstärke
Die Frau war im Mittelalter durch die Kirche auf die Rolle der großen Verführerin festgelegt worden. Demnach war sie mit Verweis auf Eva nicht nur Trägerin der Erbschuld, sondern auch die Versucherin, die den Mann vom Pfad der Tugend abbringt. Auf dieser Überzeugung basiert der Themenkreis der Weibermacht, die im Kontext der höfischen Dichtung und mittelalterlichen Tugenddarstellung eine zentrale Rolle spielte.
Herausragende Männer aus Antike und Altem Testament lassen sich von listigen Frauen verführen und werden zu Liebesnarren. So erniedrigt sich der antike Philosoph Aristoteles zum Reittier von Phyllis, die sich dafür rächt, dass der Philosoph ihrem Mann eine zu große Liebe zu ihr vorgeworfen hatte. Nicht besser ergeht es Samson, der sich von seiner Geliebten Delila bezirzen lässt und mit der Haarpracht auch seine herkulische Kraft verliert.
Bedrohliche Nacktheit bei Hans Baldung Grien
Ein weiteres prominentes Beispiel im Reigen der Frauenmacht ist die Geschichte der alttestamentlichen Heldin Judith: Die jüdische Witwe rettet die Stadt Betulia in Judäa aus der Gefangenschaft, indem sie den Oberbefehlshaber des babylonischen Heeres, Holfernes, im Feldlager überwältigt. Sie beeindruckt nicht nur durch ihre Schönheit, sondern auch durch ihre klugen Reden, betört den Feldherrn, macht ihn betrunken und enthauptet ihn. Der Straßburger Maler Hans Baldung Grien, in dessen Werk Erotik und Verführungskraft in unterschiedlicher Dezenz eine zentrale Rolle spielen, setzt andere Akzente: Er zeigt die Heldin in aggressiver, bedrohlicher Nacktheit mit Dolch und blutendem Haupt. Zur Bildfolge gehörten zwei Tafeln mit Adam und Eva sowie eine Tafel mit Venus, der Göttin der Liebe.
Cranachs Verführungsbilder
Darstellungen von Venus und Amor gehörten zu den erfolgreichsten Produkten der Werkstatt Lucas Cranachs d.Ä. In unserer Sammlung befinden sich zwei Varianten (Venus mit Amor als Honigdieb, um 1537; Venus mit Amor als Honigdieb, nach 1537). Die Göttin der Schönheit erscheint als grazile Kindfrau mit makellos weißer Haut. Der dünne Schleier, der ihren Körper umspielt, enthüllt mehr, als er verbirgt. Fast scheint es, als wäre Cranach bei seinen Venusbildern mit sich selbst in Wettstreit getreten: Jede Venus will schöner und verführerischer sein als die andere. An ihrer Seite erblicken wir Amor, der in der antiken Mythologie die Aufgabe hat, mit seinen Pfeilen jene unwiderstehliche Liebe zu wecken, von der es heißt, dass sie alles besiege.

Kommentare
29.01.2022 | marion waldmann
Nur eine kleine Anmerkung: Die Links zum Objektkatalog funktionieren im Blogbeitrag nicht (Venus mit Amor als Honigdieb, um 1537; Venus mit Amor als Honigdieb, nach 1537). Bei mir kommt die Meldung: "Die angeforderte Seite konnte nicht gefunden werden.". Herzliche Grüße! | GNM_BLOG ANTWORTET: Herzlichen Dank für den Hinweis. Alle Links sollten funktionieren. Probieren Sie es gerne nochmals aus. Beste Grüße
24.05.2020 | Jeannette Stein
Meisterhaft! | GNM_BLOG ANTWORTET: Danke für das Kompliment!