Geschichte am Meeresgrund

Tobias Jüttner | 08.06.2020


Geschichte am Meeresgrund – Faszination Wracktauchen


Welche Besonderheiten bieten archäologische Funde unter Wasser? Worin liegt der Reiz, einmal unter die Oberfläche zu blicken um stille Zeitzeugen zu erforschen? Und was gilt es zu beachten an diesen Orten, die gleichzeitig Seegräber sind und an denen auch nach Jahrzehnten noch Gefahren lauern? Tauchen Sie mit mir ab in die faszinierende Welt historischer Fundorte und entdecken Sie mit mir das deutsche Vorpostenboot „V 1605“, Tauchern besser bekannt als die „Mosel“, im Skagerrak vor Norwegen.

Bei jedem Wracktauchgang liegt der Reiz auch im Entdecken. Wir finden auf den Schiffen Geschichten und Situationen aus der Zeit des Untergangs vor. Insbesondere Kriegsschiffe bieten aufgrund ihrer Bestimmung sehr spannende, aber auch bedrückende Bilder, die sich einbrennen und uns zeigen, dass „es einfach wirklich passiert ist“. Es handelt sich um Objekte der Erinnerung, die es zu erforschen und zu schützen gilt. Sowohl die Zersetzung der Schiffe durch das Salzwasser und andere Faktoren wie etwa illegale Plünderungen von Wrackräubern beschleunigen den Verfall dieser bedeutenden Fundstätten.


Die „Mosel“ in Norwegen: Vorbereitung des Tauchganges

Unsere Reise beginnen wir in der Nähe von Lillesand in Süd-Norwegen, von wo aus wir zu einem von mehreren Tauchgängen am Wrack der „Mosel“ starten. Wir – das sind Derk Remmers mit zwei weiteren Tauchern, mein Tauchpartner Tobias Kirsch und ich.

Unser logistischer Aufwand ist groß. Um lange in großer Tiefe bleiben zu können, brauchen wir reichlich Atemgas. Wir tauchen mit sogenanntem „Trimix“, einem Atemgas-Gemisch, in dem ein Teil des in unserer Atemluft enthaltenen Stickstoffs durch Helium ersetzt wird. Dadurch vermeiden wir eine Stickstoff-Narkose (Tiefenrausch). Der direkte Aufstieg ist uns aufgrund der Dekompressions-Problematik verwehrt, ein klarer Kopf unverzichtbar. Den Sauerstoffgehalt reduzieren wir bei größeren Tiefen etwas, um eine Sauerstoffvergiftung auszuschließen.


DAS WRACK: VORPOSTENBOOT V 1605 (Ex „Mosel“)

Die „Mosel“ wurde als Fischdampfer 1937 gebaut und im Jahr 1939 von der Kriegsmarine eingezogen und bewaffnet. Nach einigen Einsätzen von Kiel aus im Belt und in der Ostsee wurde sie von ihrem späteren Heimathafen Frederikshavn in Dänemark zu Geleitdiensten im Kattegat und Skagerrak eingeplant. Die „Mosel“ erhielt für diese Aufgaben mehrere Flugabwehrgeschütze vom Kaliber 8,8 cm, 3,7 und 2,2 cm und wurde mit Wasserbomben bestückt.

Am 15. Oktober 1944 erhielt die „Mosel“ den Befehl, den Petroleumtanker „Inger Johanne“ nach Kristiansand in Norwegen zu begleiten. Nicht weit entfernt von Lillesand entdeckte sie ein britisch-kanadischer Jagdbomberverband und griff sie an. Beide Schiffe wurden schwer getroffen.
Die „Mosel“ stand nach heftigen Kampfhandlungen komplett in Flammen, es gab zahlreiche Todesopfer an Deck und im Kesselraum. Gewaltige Explosionen vernichteten auch den Petroleumtanker. 21 Seeleute verloren auf der Mosel ihr Leben.


DER TAUCHGANG

Das Wrack liegt seitdem in einer Tiefe zwischen 32 und 52 Metern. Bereits der Abstieg birgt ein großes Abenteuer: Als erstes Wrackteil erscheint beinahe aus dem Nichts das imposante Flugabwehr-Geschütz, das mit 8,8 cm-Munition bestückt wurde, noch zum Kampf aufgerichtet. Hier beginnt eine eindrucksvolle Reise in die Vergangenheit, konserviert von der Nordsee seit über 75 Jahren.

Unsere leistungsstarken Lampen zeigen uns in der Dunkelheit des Meeres die spannenden Details und ermöglichen überdies die Kommunikation untereinander.

An Deck liegen unzählige Trümmer. Welche Funktion hatten sie ursprünglich? Einige Details sind bestens erhalten. So finden wir aufgerissene Kisten mit Flak-Munition. Vorbei geht es an intakten Wasserbomben und Maschinengewehren zur gut erhaltenen Brücke. Seitlich tauchen wir Backbord durch schmale Gänge zum tiefsten Punkt hinab, zur Schraube auf 52 m am Grund, vorbei an Geisternetzen der letzten Jahrzehnte, die sich im Wrack verfangen haben.
Die Schraube und auch das Ruder wirken intakt, selbst die Scharniere wirken wie frisch geölt.

Wasserbombe
(Foto: Derk remmers)
Munition
(Foto: Derk Remmers)

 

Maschinengewehr
(Foto: Tobias Jüttner)
Brücke und Deck
(Foto: Derk Remmers)
Wasserbombe
(Foto: Derk remmers)
Munition
(Foto: Derk Remmers)

 

Maschinengewehr
(Foto: Tobias Jüttner)
Brücke und Deck
(Foto: Derk Remmers)

Steuerbord verlassen wir die Maximaltiefe und nehmen uns mit der Brücke die Aufbauten an Deck vor, wo wir Flak-Geschütze und Geschütztürme sehen. Gesplitterte Bodenplanken und zerstörte Außenwände belegen bis heute die Wucht des Angriffs eindrücklich. In den weiter unten liegenden Frachträumen finden wir Stiefel und Schuhe der Besatzungsmitglieder sowie Uniformreste im Sedimentbett. Das Schicksal der Männer wird uns präsent.

Hinterlassenschaften der besatzung
       
    
Hinterlassenschaften der besatzung
Hinterlassenschaften der besatzung
Hinterlassenschaften der besatzung
       
    
Hinterlassenschaften der besatzung
Hinterlassenschaften der besatzung
Hinterlassenschaften der besatzung
       
    
Hinterlassenschaften der besatzung
Hinterlassenschaften der besatzung

Wir sehen durch ein Bullauge in die Innenräume, entdecken dort den Waschraum und eine Toilette. Wir tauchen ein Stück in einen weiteren Raum hinein, in dem ein Lösch-Schlauch sauber zusammengerollt an der Wand hängt. Ein weiterer Schlauch liegt quer über den Resten einer Uniform und konserviert vermutlich den verzweifelten Versuch, das Feuer-Inferno zu löschen.

Tief beeindruckt von diesen Bildern dürfen wir die Zeit nicht außer Acht lassen. Wir verlassen die Tiefe. Wieder angekommen bei der großen 8,8 cm Flak, leiten wir, die beiden Anker des Bootes im Blick, unseren Aufstieg ein.


DER AUFSTIEG

Der Aufstieg dauert nach unserer Tauchzeit ca. 40 Minuten, in denen wir uns nach vorab fest geplanten Dekompressionsstufen vom Wrack verabschieden, das schemenhaft aus unserem Blick verschwindet. Auf der Tiefe von 21 m wechseln wir unser Atemgas und setzen ein Gemisch mit höherem Sauerstoff-Gehalt ein. Dieser Wechsel ermöglicht uns erst die geplante Aufstiegszeit, die sonst bedeutend länger dauern würde. Wieder an Land angekommen, wirkt das Erlebte nach. Welche Geschichten verbergen sich in einem solchen archäologischen Wrack, welchen Gefahren ist es ausgesetzt?


ARCHÄOLOGISCHES TAUCHEN

Funde unter Wasser unterliegen den gleichen Gesetzen wie über Wasser. Also nichts anfassen, nichts mitnehmen. Auch Wracks des Ersten und Zweiten Weltkriegs sind archäologische Objekte und historisch wertvoll.
(Zitat von Dr. Florian Huber in Vorbereitung auf meinen Beitrag)

Den Schutz von Wracks und die Rekonstruktion ihrer Geschichte dokumentiert beeindruckend der Unterwasserarchäologe Dr. Florian Huber in seinem Film Geheimnisse am Meeresgrund.

Es gibt nur wenige Orte, an denen Geschichte vergleichbar unberührt und schonungslos erlebbar wird. Nur wenigen ist der Besuch von solchen Wracks möglich. Die Bilder, die sich dabei zeigen, wirken nachhaltig weiter. 

Die Wracks aus den beiden Weltkriegen sind voller Munition, Schweröl und Gift. Das Meer tut seine Wirkung, zerstört die Schiffswände und setzt Gifte frei. Auch wir Menschen machen diesen historischen Stätten zu schaffen, sei es durch illegale Plünderungen, oder durch die Fischerei mit Schleppnetzen.

Für mich bedeutet speziell das technische Tauchen spannendes Abenteuer, konzentrierte Vorbereitung und Planung, Arbeiten in einem Team, das Zuverlässigkeit und Vertrauen verbindet.


Ich bedanke mich bei Derk Remmers, GUE Instructor und äußerst erfahrener Wracktaucher, für die von ihm zur Verfügung gestellten Bilder und seine Unterstützung vor Ort bei der Füll-Logistik und dem Tauchen. Und ich danke Dr. Florian Huber dafür, dass ich bei einem seiner Seminare ein bisschen von seinem Wissen über das archäologische Tauchen schöpfen konnte. Danke auch Tobi Kirsch, meinem treuen und zuverlässigem Tauchpartner an der Mosel!

 


Kommentare

22.12.2022 | Chester

Sehr schön. Ich finde Geschichte auch immer sehr spannend, egal ob die Weltkriege, die DDR oder auch vor Millionen Jahren. Leider gibt es aber eben auch immer wieder Schänder der Geschichte, wie auch im Beitrag erwähnt. Auf Usedom bei Peenemünde liegt beispielsweise ein Flugzeugwrack der Briten in einem See, das bei der Bombardierung von der Raketenversuchsanstalt in Peenemünde beteiligt war. Trotz Hinweisschildern und Sperrgebiet der damaligen DDR, wurde es geschafft, auch dieses Wrack auszuschlachten, wie eine Expedition später bewies. Echt traurig sowas. Ich bin darum immer froh über solche Beiträge wie diese hier. Vielen Dank. |GNM_BLOG ANTWORTET: Herzlichen Dank!


11.06.2020 | Peer Seipold

Welche großartige Gelegenheit, so einen spannenden und bewegenden Tauchgang entspannt, und trocken miterleben zu dürfen! Unbeschwert und leicht liest sich diese Zeitreise in die Tiefe und gewährt faszinierende Einblicke und Beschreibungen von Dingen, die sonst im Verborgenen liegen. Bis in beeindruckende 52 m wird der Leser gefahrlos mit hinab zu dem Wrack genommen. Nichttauchern erschließt sich solch ein Tiefe oft erst beim Besteigen vergleichbar hoher Kirchtürme oder Aussichtplattformen. Schaut man von dort ‚oben‘ nach unten, bekommt man wirklich Respekt vor dieser Distanz! Um solche tiefen Tauchgänge gefahrlos durchführen zu können, bedarf es einer umfangreichen technischen Ausrüstung, was eindrucksvoll dargestellt wird. Darüber hinaus ist es aber auch die perfekte und professionelle Planung, die Praxiserfahrung und das fundierte Fachwissen sowie gesundes Selbstvertrauen, gepaart mit einer guten körperlichen und mentalen Verfassung, die solche Tauchgänge zu einem Erfolg werden lassen – das macht wirklich Lust auf mehr ‚Meer‘! Daher freue ich mich auf weitere spannende Berichte im GNM_Blog- vielen Dank an das ‚Mosel‘ Tauchteam! | GNM_BLOG ANTWORTET: Herzlichen Dank für Ihr tolles Feedback und Ihre Anerkennung!


09.06.2020 | Wolfgang Castell

Lieber Herr Jüttner, ein faszinierender Bericht, auch wenn ich Ihnen beim nächsten Tauchgang nicht folgen werde.


09.06.2020 | Christiane Wienecke

Auch wenn ich selber ängstlich bin und nicht tauche, ist es Dir gelungen mich mit in diese ganz eigene, ruhige und doch Erlebnisse, Geheimisse und Geschichte bergende Welt mitzunehmen. Man wird von dieser Faszination erfasst und berührt. Dieses Schiff zeigt wieviel Geschichte auch unter Wasser uns immer wieder mahnt und nicht vergessen läßt. Vielen Dank für diesen Bericht! Viele Grüße aus Berlin Ch. Wienecke | GNM_BLOG ANTWORTET: Ganz herzlichen DANK für Dein schönes Feedback und beste Grüße aus Nürnberg.


09.06.2020 | Rita Wolkersdorfer

Vielen Dank. Ein faszinierender Einblick in die Erlebnisse beim Wracktauchen. Und Danke auch für die kleine Geschichtsstunde. Tauchen ist ohnehin ein tolles Erlebnis, aber das hier ist schon etwas Besonderes! GNM-BLOG ANTWORTET: Herzlichen Dank für das Kompliment!


08.06.2020 | Daniela Kagerbauer

So interessant! Spannend, was man man durch diese schöne Sportart alles erleben kann. Da bekomme ich wieder mal große Lust selbst das Tauchen wieder anzufangen. Schön geschrieben, danke für die tollen Einblicke und diese Unterwasser-Museums-Führung! Viele Grüße an Tobias und das ganze restliche GNM-Team | GNM_BLOG ANTWORTET: Ganz herzlichen Dank! Wir freuen uns, dass der Beitrag inspiriert!


08.06.2020 | Jürgen Wolf

Toller Beitrag! So holt man sich das Wracktauchen nach Hause... Und je rücksichtsvoller die einzelnen Beteiligten agieren, desto besser bleiben uns allen die schönen Orte erhalten. | GNM_BLOG ANTWORTET: Das sehen wir genauso, herzlichen DANK!


08.06.2020 | Anne Regenfus

Ich kann mich Herrn Huber nur anschließen - spannender Beitrag und eindrucksvolle Fotos! | GNM_BLOG ANTWORTET: Danke, das freut uns sehr!!


08.06.2020 | Dr. Florian Huber

Danke für den schönen und lebhaften Blogbeitrag. Der Ozean ist das größte Museum, das wir besitzen. Wir sollten es hegen, pflegen und von ihm lernen. Viele Grüße aus Kiel - Florian Huber | GNM_BLOG ANTWORTET: Danke für Ihr Feedback!


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