Nürnberger Druckerei | Global Player 15. Jh.

Marie-Luise Kosan M.A. | 09.07.2022


Nürnberger DRuckerei:
Buchdrucker und Verleger Anton Koberger


Was sehen Sie, wenn Sie an einen mittelalterlichen Künstler denken? Einen einsamen Handwerker, der andächtig in seiner Werkstatt vor sich hinarbeitet? Der sein gesamtes Leben an dem Ort verbringt, an dem er geboren wurde? Wahrscheinlich steht dieses Bild in starkem Kontrast zu dem, was Sie von heutigen Unternehmer*innen annehmen, oder? Sie eilen von einem Meeting zum nächsten, halten sich gefühlt an mehreren Orten gleichzeitig auf, profitieren von ihrem weltweiten Netzwerk und fokussieren stets die Optimierung ihres Unternehmens.

Am Beispiel des Nürnberger Buchdruckers und Verlegers Anton Koberger und der sogenannten Kobergerbibel (1483) zeigt dieser Beitrag auf, dass das mittelalterliche Kunstschaffen gar nicht weit von den heutigen Produktionsbedingungen und Vermarktungsstrukturen entfernt war.

 


Die Inkunabel: Die Kobergerbibel als Werk der Frühdruckzeit

Der um die Mitte des 15. Jahrhunderts entwickelte Buchdruck mit beweglichen Lettern löste gemeinsam mit dem Aufkommen der druckgraphischen Techniken, Holzschnitt und Kupferstich, eine Medienrevolution aus. Nie zuvor war es möglich, innerhalb kürzester Zeit hohe Auflagen zu produzieren. Für den mittelalterlichen Holzschnitt lagen diese bei bis zu 1000 Abzügen.

Anton Koberger führte um 1471 in seiner Nürnberger Werkstatt den Buchdruck mit beweglichen Lettern ein. Während der Buchdruck in Nürnberg noch in den Kinderschuhen steckte, waren die Druckerpressen in Bamberg, Straßburg, Köln und Basel bereits seit einigen Jahren in Betrieb.

Wollen Sie mehr über Anton Koberger wissen, unser Buchrestaurator stellt ihn Ihnen in einem kurzen Video vor:

10 Jahre bevor Koberger mit dem Druck der Schedel’schen Weltchronik Berühmtheit erlangte, druckte er ab 1483 die sogenannte Kobergerbibel. Sie umfasst 586 Blatt und gehört in die Frühphase des Buchdrucks, die sogenannte Inkunabelzeit. Ihre Auflage betrug schätzungsweise zwischen 1000 und 1500 Exemplare.

Inkunabeln waren noch vom Erscheinungsbild mittelalterlicher Handschriften geprägt, ihre Herstellung erfolgte jedoch schon durch Drucker. Die Werke stehen am Wendepunkt von den von Hand geschriebenen hin zu den gedruckten Büchern.

Die Buchdrucke übernahmen die Größe und das Layout der Handschriften, wurden jedoch mittels der modernen Drucktechnik umgesetzt: Der Text wurde zweispaltig mit beweglichen Lettern, die Illustration mittels eines Holzstocks gedruckt. Nachträglich führten Maler die Initialen zu Beginn der Kapitel, die Hervorhebung der Großbuchstaben und die Kolorierung der Illustrationen von Hand aus.

Einige Ausgaben weisen zudem eine händische Rankenbemalung und eine Teilvergoldung von Illustrationen und Initialen auf. Auf diese Weise war es möglich, hochqualitative Bücher in hoher Auflage zu produzieren und gleichzeitig den Sehgewohnheiten der potentiellen Käufer gerecht zu werden.


Der Herstellungsprozess einer Bibel

Anton Koberger trat, den Quellen zufolge, als sehr geschickter Geschäftsmann auf. Als 1478 in Köln die erste gedruckte Bibel in deutscher Sprache und mit Holzschnitten illustriert erscheinen sollte, unterstützte Koberger das Projekt im Voraus finanziell. Im Nachhinein konnte er einerseits von den Erfahrungen der Kölner Drucker profitieren.

Andererseits sicherte er sich einen Großteil der Holzschnittstöcke für sein eigenes Bibelprojekt. Auf diese Weise sparte er die Vorlaufzeit, die für die Anfertigung der Druckstöcke notwendig gewesen wäre: Für die Holzschnitte war zunächst der Entwurf eines Malers erforderlich. Das Motiv wurde anschließend durch einen sogenannten Reisser auf den Holzstock übertragen. Der Formschneider schnitt anschließend das Bild in das Holz. Das entstandene Relief konnte anschließend, wie bei einem Stempel, im Hochdruckverfahren gedruckt werden.

Die zahlreichen Illustrationen verhalfen der Kölner Ausgabe zum Erfolg. Koberger verstand es, Profit aus diesem Erfolg zu schlagen und die Kölner Bibel als Werbung für das eigene Projekt zu nutzen.

So war nicht nur der Beginn des Druckprojekts von unternehmerischem Geist geprägt, sondern auch der eigentliche Herstellungsprozess, für den er die Kölner Druckstöcke nutzte. Durch detaillierte Vorstudien, eine intensive Durchsicht und Redaktionsarbeit im Vorfeld und während des Druckvorgangs sollte die Qualität der Druckerzeugnisse gesichert werden. Probedrucke von Einzelblättern vermittelten einen ersten Eindruck vom Endergebnis.

Darüber hinaus optimierte Koberger gegenüber der Kölner Ausgabe den eigentlichen Druckvorgang. In Köln wurde zunächst nur der Text gedruckt. Die Holzschnitte wurden erst in einem zweiten Schritt eingefügt. Koberger entwickelte diesen Vorgang weiter, indem er Illustration und Text in einem Durchgang druckte. Dieses Vorgehen sparte nicht nur Zeit, sondern ermöglichte auch ein präzises Endergebnis: Die seitlichen Abschlüsse sind in ihrer Positionierung direkt aufeinander bezogen. Der Abstand zwischen Bild und Text ist größtenteils einheitlich. Mit diesen Optimierungen erhielt der Käufer einer ,Standardausgabe‘ ohne händische Kolorierungen bereits ein hochwertiges Produkt.

Wie sich am Beispiel der ebenfalls von Koberger gedruckten Schedel’schen Weltchronik nachvollziehen lässt, kamen die Werke sowohl ungebunden als auch gebunden in den Verkauf.

Im Regelfall wurden die Werke ungebunden verkauft, um einen kostengünstigen Transport zu ermöglichen. Die Bindung erfolgte auf Wunsch der Auftraggeber und führte zu höheren Kosten. Das Exemplar des Germanischen Nationalmuseums weist einen aufwendigen Ledereinband auf, der wahrscheinlich vor dem Verkauf in Auftrag gegeben wurde. Erkennbar sind mehrere Elemente, die von einer seriellen Vorproduktion und Fertigung zeugen: Die Buchdeckel aus Ziegenleder wurden mit Linien- und Stempelprägungen und „seriellen“ Beschlägen verziert.

Ebenso wie die Bindung passte Koberger auch die Ausgestaltung der Seiten an die Wünsche der Käufer an. Diese beinhalteten wahlweise eine aufwendige, von Hand gefertigte Ausstattung: eine Kolorierung der Holzschnitte, Randverzierungen oder persönliche Wappen.

Die Kobergerbibeln zeichnen sich durch eine hochqualitative malerische Gestaltung aus. Eine einfache und somit kostengünstigere Variante bestand aus drei Grundfarben. Welche Wirkung eine reichere Ausmalung mit höherer Farbskala und differenzierten Farbverläufen erzielt, belegt eindrucksvoll das Exemplar im Germanischen Nationalmuseum.

In der Farbgebung orientierten sich die Maler teilweise an der entsprechenden Bibelstelle. So zeigt die farbige Ausführung des Holzschnitts „Die apokalyptischen Reiter“ exakt jene Fellfarben der Pferde, die in der Offenbarung des Johannes (Offb 6,1-6,8) Erwähnung finden.

[…] Da sah ich ein weißes Pferd; und der, der auf ihm saß, hatte einen Bogen. Ein Kranz wurde ihm gegeben und als Sieger zog er aus, um zu siegen. […] Da erschien ein anderes Pferd; das war feuerrot. Und der, der auf ihm saß, wurde ermächtigt, der Erde den Frieden zu nehmen, damit die Menschen sich gegenseitig abschlachteten. Und es wurde ihm ein großes Schwert gegeben. […] Da sah ich ein schwarzes Pferd; und der, der auf ihm saß, hielt in der Hand eine Waage. Inmitten der vier Lebewesen hörte ich etwas wie eine Stimme sagen: Ein Maß Weizen für einen Denar und drei Maß Gerste für einen Denar. Aber dem Öl und dem Wein füge keinen Schaden zu! […] Da sah ich ein fahles Pferd; und der, der auf ihm saß, heißt «der Tod»; und die Unterwelt zog hinter ihm her. Und ihnen wurde die Macht gegeben über ein Viertel der Erde, Macht, zu töten durch Schwert, Hunger und Tod und durch die Tiere der Erde.

Es ist anzunehmen, dass Koberger nach Fertigstellung des Drucks Maler mit der Kolorierung beauftragte. Ob diese Angestellte in seiner Werkstatt oder Subunternehmer waren, ist zumindest für die Koberger Bibel nicht geklärt.

Wie erfolgreich das Geschäftsmodell mit Subunternehmern sein konnte, belegt eindrucksvoll Kobergers Zusammenarbeit mit Michael Wolgemut. Gleich drei bahnbrechende Buchprojekte setzte das erfolgreiche Duo um: die Reformation (1484), das älteste gedruckte Gesetzbuch im Heiligen Römischen Reich, der Schatzbehalter (1491) und die Schedelsche Weltchronik (1493).

 

Die Zusammenarbeit unterschiedlicher Werkstätten war im 15. Jahrhundert keine Seltenheit. Zahlreiche Druckereien arbeiteten mit anderen Unternehmern zusammen, um große Aufträge bewältigen oder von den Spezialisierungen anderer profitieren zu können. Auch das ,Outsourcing‘ ganzer Aufträge, um Kosten zu sparen, war üblich.

Im frühen 16. Jahrhundert wurden beispielsweise zwischen den Nürnberger und Augsburger Druckereien mehrfach Druckaufträge hin- und hergereicht. Auf diese Weise konnten unter anderem die strengen Zensurbestimmungen während der Reformation in Nürnberg umgangen werden. Gleichzeitig fand sich in Nürnberg ein Absatzmarkt für die reformatorischen Schriften aus Augsburg. Aber auch Bildschnitzer wie Tilman Riemenschneider in Würzburg oder die Straßburger Glasmalergemeinschaft setzen auf Kooperationen, um Großaufträge wie die gewaltigen Flügelretabel oder meterhohen Kirchenfenster realisieren zu können. Der vermeintliche einsame Handwerker war somit oftmals ein Großunternehmer.


Der Vertrieb der Nürnberger bibeln


Anton Kobergers erfolgreiches Geschäftsmodell stand auf verschiedenen Säulen. Eine hohe Stückzahl ermöglicht geringe Kosten. Nürnberg bot dem Drucker von Beginn an ideale Standortbedingungen: Über die Papiermühlen in der Region bezog er direkt sein Material. Die Stadt zählte zu den führenden Wissens- und Handelszentren Europas. Eine kauffreudige Stadtbevölkerung und zahlreiche (Handels-)Reisende waren dankbare Abnehmer der kostbaren Waren. Die Drucker profitierten von den europaweiten Handelsstrukturen der Stadt. Um den Vertrieb seiner Bücher koordinieren zu können, stieg Koberger selbst in das Verlagswesen ein.

Durch händlerisches Geschick bot der Verleger ein breites Sortiment an: Der Aufkauf gesamter Auflagen anderer Drucker ermöglichte ihm einen gewinnbringenden Vertrieb. Mit Importen unter anderem aus Venedig bereicherte er sein Angebot um Werke, die im Reich nicht gedruckt wurden.

Koberger kannte seine Kundschaft sehr gut und schnitt sein Angebot exakt auf deren Bedürfnisse zu. Für die Kleriker, Ordensmitglieder und Universitätsangehörigen druckte Koberger vorrangig theologische Werke in lateinischer Sprache. Da Latein als die internationale Verkehrssprache galt, ließen sich diese Bücher auch über die Grenzen des Heiligen Römischen Reichs hinaus verkaufen. Ergänzend druckte und verlegte Koberger zunehmend deutschsprachige Werke.

Koberger dachte europäisch. Er suchte gezielt den Anschluss an die großen europäischen Handelsmetropolen wie Paris, Lyon, Barcelona, Frankfurt am Main und Leipzig. Letztere waren für den Buchhandel von besonderer Bedeutung. Hier entstanden im 15. Jahrhundert die bis heute bekannten Buchmessen. Als zentrale Orte des europäischen Buchhandels gehörten die Messen zum festen Bestandteil des Geschäftsjahres. Koberger plante ebenso wie seine Kollegen die Veröffentlichung neuer Werke gezielt auf die Messetermine hin. Ein potentieller Bestseller kam zur Buchmesse auf den Markt und konnte so im Direktvertrieb in hoher Auflage verkauft werden. Noch heute halten sich Verlage an diesen Grundsatz.

Voraussetzung für den Erfolg war eine gute Werbung: In sogenannten Buchführern, den Verlagskatalogen des 15. Jahrhunderts, kündigten die Verleger ihre Neuerscheinungen rechtzeitig an. Eine Zustellung erfolgte beispielsweise an Klöster, die als zuverlässige Abnehmer galten.

Um die großen Stückzahlen zunehmend auch direkt vor Ort lagern und vertreiben zu können, baute Koberger in ganz Europa Faktoreien auf. Diese wurden schrittweise um weitere Unternehmensstandorte in Form von Druckereien erweitert. Auf diese Weise schuf sich Koberger ein europaweites Vertriebsnetzwerk. Ein Kommissionsbuchhandel ermöglichte den Vertrieb der eigenen Werke bei auswärtigen Buchhändlern. Werke aus dem Verlag Koberger standen auf diese Weise in beinahe jeder großen europäischen Stadt zum Verkauf.

Bereits die Zeitgenossen honorierten diesen Geschäftssinn mit entsprechender Anerkennung. So bemerkt beispielsweise Johann Neudörfer 1547 in seinem Nürnberger Künstlerverzeichnis:

Dieser Koberger hat täglich mit 24 Pressen gearbeitet und dazu unterhielt er hundert und etliche mehr Gesellen, die zum Teil Setzer, Korrektor, Drucker, [...] und Buchbinder waren. [...] Er hatte einen gewaltigen und weitläufigen Handel mit Büchern und eine spezielle Druckerei in Frankreich, in der er viel größere und schönere Werke drucken ließ.


Einmalige Gelegenheit: Die Kobergerbibel bestaunen

Ein Exemplar der Kobergerbibel ist vom 7.4.2022 - 1.10.2023 im Rahmen der Sonderausstellung Das Mittelalter. Die Kunst des 15. Jahrhunderts. Preview zu besichtigen. Hier lässt sich unmittelbar die Qualität des Drucks und der Ausgestaltung des Werks bestaunen. Darüber hinaus erlaubt die Ausstellung Einblicke in weitere Innovationen der Kunstproduktion und -vermarktung. An zahlreichen Beispielen wird deutlich, dass das unternehmerische Vorgehen Anton Kobergers im 15. Jahrhundert keinen Einzelfall darstellte. Die Serienfertigung und der weite Export seines Unternehmens stehen vielmehr beispielhaft für den großen Innovationsreichtum dieses Jahrhunderts.


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