Behaim-Globus | Global seit 1492

Prof. Dr. Daniel Hess | 17.04.2020


beginn der globalisierung 1492 und der behaim globus: die seuchen reisen mit

 

Was verrät uns der älteste Globus der Welt über den Beginn der Globalisierung 1492? Was über die Kolonialgeschichte? Welche Rolle spielte Christoph Kolumbus dabei? Wir blicken entlang der Werke im GNM auf ein ebenso erhellendes wie düsteres Kapitel der Globalisierungsgeschichte. Damit verbindet sich eine etwas andere Sicht auf neue Welten und globale Märkte, Weltwissen aus Nürnberg sowie Zucker und Sklavenhandel - und ja, die Seuchen reisen mit.


christoph Kolumbus und der Beginn der Globalisierung 1492

Wir blicken zurück in das Jahr 1492: Am 3. August lichtete Kolumbus den Anker für seine Reise nach Westen auf der Suche nach einem Seeweg nach Indien. Spanien befand sich im Umbruch: Im Januar 1492 hatte das letzte maurische Fürstentum kapituliert, im März waren die Juden vor die Wahl gestellt worden, zum Christentum überzutreten oder das Land zu verlassen. Wie viele retteten ihr Leben auf den von Kolumbus befehligten Schiffen Santa Maria, Niña und Pinta?

Das Flaggschiff Santa Maria war übrigens eine Karacke, ein Schiffstyp, der vom 14. bis 17. Jahrhundert als Handels- wie auch als Kriegsschiff diente. Eine solche Karacke zählt auch zu unseren kostbarsten Exponaten im GNM: Das Schlüsselfelder Schiff ist ein prunkvoller, prestigeträchtiger Tafelaufsatz; bei abgehobenem Deck fasste das Silberschiff rund zwei Liter Wein. Wir blicken auf das faszinierende, bunte Leben an Bord und ahnen, dass die Realität völlig anders aussah.


neue Welten und globale märkte

Nüchtern hielt Kolumbus in seinem Bordbuch fest:

"Wir fuhren am Freitag, dem 3. August 1492, um acht Uhr morgens von der Saltesbank ab; wir segelten bei starkem Seewind bis zum Sonnenuntergang sechzig Seemeilen ..."

Kein Wort zur Ungewissheit, vielleicht auch Angst, kein Wort zum Abschied und zu den Tränen am Quai: Wie fühlt man sich am Beginn einer Reise ins Ungewisse? Die Angst jedenfalls segelte mit, denn Kolumbus zählt täglich weniger als die tatsächlich zurückgelegten Meilen, um seine Mannschaft über die großen Weiten nicht zu beunruhigen.

Am 12. Oktober 1492 landete Kolumbus auf den Bahamas. Ein in Basel 1494 entstandener Holzschnitt zeigt den Moment der Eroberung des neuen, den Europäern unbekannten Kontinents. Erst 1507 erhielt dieser den Namen „Amerika“. Das Blatt illustriert, was Europäer sich vorstellten: nackte, unzivilisierte Wilde. Kolumbus war vor den Bewohnern der Karibik gewarnt worden: Sie wurden „Cariba“, genannt, doch der Genuese hatte „Caniba“ (Menschenfresser) verstanden.

 

Erst gute dreißig Jahre später gelangten die ersten wirklichkeitsgetreuen Darstellungen der Bewohner der neuen Welt nach Europa: So zeigt das Trachtenbuch von Christoph Weiditz im GNM auch elf Zeichnungen von indianischen Akrobaten.

Im 15. Jahrhundert weiteten sich die Horizonte; Menschen, Waren und Ideen begannen global zu zirkulieren. Mit den portugiesischen und spanischen Expeditionen hatte der komplexe Prozess der Globalisierung begonnen. Die Spanier suchten ihr Glück im Westen, die Portugiesen stießen über Afrika nach Asien vor.

Im Vertrag von Tordesillas wurde die Welt 1494 zwischen Portugal und Spanien aufgeteilt: Die Grenze verlief 370 Meilen westlich der Kapverdischen Inseln auf einer geraden Linie vom Nord- zum Südpol. Die portugiesischen Expeditionen entlang der afrikanischen Küste, an denen sich auch der Nürnberger Martin Behaim beteiligte, waren damals in vollem Gang: 1488 hatte man bereits das Kap der Guten Hoffnung umrundet.


der behaim-globus: weltwissen in nürnberg

Behaims berühmter Erdapfel ist die älteste erhaltene Darstellung der Erde in Kugelform. Er dokumentiert zweierlei: die portugiesischen Entdeckerfahrten als europäische Leistung und die Kolonialisierung der afrikanischen Küste.

Die portugiesischen Eroberungen markieren die entlang der Küsten aufgerichteten Steinsäulen. Sie sind auf dem Globus als Flaggen gezeigt. Übrigens wusste man bereits seit der Antike, dass die Erde eine Kugel ist. Auch die mittelalterlichen Gelehrten gingen von der Kugelgestalt der Erde aus, wie sie seit dem 11. Jahrhundert auch im Reichsapfel in der Hand des Kaisers (Albrecht Dürer, Kaiser Karl der Große, um 1511/13) symbolisiert ist.

Weltbilder in Bewegung

In seinen Texten und Bildern griff der Behaim-Globus auf viele ältere Quellen zurück; das Wissen der Autoritäten verbürgte die Glaubhaftigkeit des Gezeigten. Auf dem Globus erscheint die Welt, wie man sie sich im europäischen Überlegenheitsgefühl vorstellte. Doch war dies nur eine Frage der Perspektive: In China etwa galten die Europäer als Barbaren und als Piraten, die kleine Kinder verspeisen.
Diese Perspektiven verschieben sich bis in die Gegenwart. Unseren historischen Blick über Europa hinaus zu weiten, ist Gebot der Stunde. Behaims Erdapfel entstand in den Jahren 1492/94, Amerika sucht man darauf vergeblich. Kaum war der Globus fertig, war sein Weltbild schon überholt. Dieses Weltbild ist bis heute in Bewegung und fordert Wissenschaft und Museen heraus, Objekte wie den Behaim-Globus immer wieder neu zu verstehen und zu erklären.

Zucker und Sklavenhandel

Der Behaim-Globus versammelt das damalige Wissen über die Welt, er ist aber auch ein Dokument für eines der dunkelsten Kapitel in der Geschichte der Globalisierung: die Erfindung des interkontinentalen Sklavenhandels im Dreiecksgeschäft.

Europa lieferte Feuerwaffen, Stahl und Bronze, Tuch, Glasperlen und Manufakturwaren an die westafrikanische Küste. Diese Waren wurden gegen Sklaven eingetauscht, die dann verschifft und auf die Zuckerplantagen verkauft wurden. Aus dem Erlös kaufte man groben Rohrzucker, Rum und Melasse, später auch Baumwolle und exportierte die Produkte nach Europa. Entwickelt wurde dieses Geschäft auf den 1471 und 1472 eroberten Inseln San Tomé und Principes im Golf von Guinea. 1485 siedelte man dort Strafgefangene aus Portugal und Sklaven aus dem südlichen Afrika, aber auch Kinder von aus Spanien vertriebenen Juden an, um Zuckerrohr anzubauen. Im 17. Jahrhundert erfolgte die transkontinentale Ausweitung dieses Handels nach Brasilien und in die Karibik.

 


Globalisierung und Kolonialisierung - die Seuchen reisen mit


Das Jahr 1492 markiert den Beginn eines menschenbedingten weltumspannenden Artenaustauschs. Dieser veränderte die Tier- und Pflanzenwelt der Kontinente nachhaltig. Die Europäer profitierten von Tabak, Kartoffeln, Mais und Tomaten und entdeckten Truthahn und Meerschweinchen. Mit der Globalisierung verbreiteten sich aber auch die Seuchen. So erlagen die Ureinwohner den bis dahin in der neuen Welt unbekannten Krankheiten wie Pocken, Grippe, Hepatitis oder Masern.

Viele Kapitel der Globalisierungsgeschichte lesen sich heute als Kolonialgeschichte. Bereits 1415 hatte mit der Eroberung von Ceuta die Besetzung der afrikanischen Küste und mit der Entdeckung des südlichen Seewegs über das Kap der Guten Hoffnung nach Indien 1498 auch die Kolonialisierung Asiens begonnen. 1516 landeten die Portugiesen im chinesischen Macau, das zur Drehscheibe des Ostasienhandels wurde. Es mutierte bis zur Aufhebung als portugiesische Kolonie 1999 zum Las Vegas des Fernen Ostens. Chinas Seidenstraßen des 21. Jahrhunderts führen in die entgegengesetzte Richtung: Mit der Ausweitung seines Handels- und Infrastrukturnetzes über Asien, Afrika, Amerika und Europa expandiert China in einem enormen Tempo und gewinnt an globalem Einfluss. Die Globalisierung schreitet fort, die Seuchen reisen mit, und die Viren erobern auch die digitalen Netze.

 

 

 

 

Behaim-Globus im

breaking LAb


Kommentare

15.12.2023 | Jan Lou

Sehr geehrte Damen und Herren, mit großem Interesse habe ich Ihren Blogbeitrag über den Behaim-Globus gelesen. Vielen Dank für den informativen Text. Jedoch der letzte Satz in Ihrem Beitrag, "Die Seuchen reisen mit, und die Viren erobern auch die digitalen Netze", ist leider unwissenschaftlich. Mit dem Kontext davor implizieren Sie, dass Chinas Seidenstraße Seuchen verbreiten, und am Ende kommt plötzlich aus dem Nichts Ihre Beurteilung: "Die Viren erobern auch die digitalen Netze". Ihre persönliche Meinung führt zu Diskriminierung gegenüber Chinesen, die in Deutschland leben. Ich bitte Sie um Überlegung, ob der Satz passend ist. Mit freundlichen Grüßen Jan Lou | Prof. Dr. Daniel Hess ANTWORTET: Sehr geehrter Jan Lou, zwischen dem zweitletzten und letzten Satz sollte kein Kausalzusammenhang entstehen, der als diskriminierend missverstanden werden könnte


04.05.2020 | Annette Körner M.A.

Sehr geehrter Herr Professor Hess, danke für Ihren Blog und Ihre Initiativen in Coronazeiten. Sie finden Leserinnen und Leser wie Sie sehen. Erlauben Sie eine Ergänzung zu Ihrem " Entdeckungsblog". Bei einem Besuch im Archivo de las Indias in Sevilla fanden mein Mann und ich eine schwere Holzkiste . Auf dem beigefügten Erklärungsschild stand: caja ( Holzkiste?) mit 16 Schießmechanismen - aus Nürnberg vom 9.8.1537 Lazarus Wir haben uns natürlich sehr gefreut, leider kein Foto gemacht, das Sie aber sicher dort erhalten könnten. Nochmals herzlichen Dank für all Ihre weiteren Unternehmungen. Mit freundlichen Grüßen Annette Körner M.A. | GNM_BLOG ANTWORTET: Sehr geehrte Frau Körner, ganz herzlichen DANK für Ihre Ergänzung! Wir freuen uns sehr über Ihr Interesse an unserem neuen Blog.


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