Kunsttechnologie. Auferweckung von Lazarus

Lisa Eckstein | Dr. Beate Fücker | 01.05.2024

Auferweckung von Lazarus mit Makro-RFA
 

Restaurator*innen nutzen verschiedene Methoden wie Mikroskopie, Röntgenuntersuchungen und chemische Analysen, um Kunstwerke zu erforschen. Dadurch erhalten sie Informationen über Materialien, Techniken und Zustand der Werke. Die Erkenntnisse aus kunsttechnologischen Untersuchungen erlauben es, die Entstehungs- und „Lebensgeschichte“ eines Kunstwerks besser zu verstehen.

Zudem helfen sie bei der Entwicklung von Konservierungs- und Restaurierungsstrategien, um Kunstwerke als Zeugnisse der Vergangenheit für zukünftige Generationen zu bewahren. Seit einigen Jahren etabliert sich eine neue Untersuchungsmethode in der musealen Forschung, die wir im Folgenden anhand zweier spannender Beispiele vorstellen möchten.

Röntgenfluoreszenzanalyse – Was ist das?

Hinter dem sperrigen Namen Röntgenfluoreszenzanalyse (RFA) verbirgt sich eine zerstörungsfreie Methode, die Restaurator*innen unter anderem nutzen, um die in Kunstwerken verwendeten Farben und Blattmetalle zu analysieren. Diese Materialien setzen sich jeweils aus verschiedenen chemischen Elementen zusammen. Das leuchtend rote Pigment Zinnober beispielsweise enthält das Element Quecksilber und lässt sich damit von anderen Pigmenten unterscheiden. Mithilfe der RFA lassen sich solche Elemente bestimmen.

Das Grundprinzip ist relativ einfach: Röntgenstrahlen werden auf ein Gemälde gerichtet. Die Strahlen interagieren vorwiegend mit den Materialien an der Oberfläche des Kunstwerks und werden abhängig von den bestrahlten Elementen in veränderter Form zurückgeworfen. Diese sogenannte Röntgenfluoreszenz besitzt eine charakteristische Energie, die ein Detektor aufzeichnet und damit die vorhandenen Elemente bestimmt.

Die Vorteile dieser Technologie liegen auf der Hand. Die Methode ist zerstörungsfrei, das heißt dem Kunstwerk müssen keine Proben entnommen werden. Außerdem lassen sich die Elemente der Malmaterialien punktgenau bestimmen. Im Institut für Kunsttechnik und Konservierung (IKK) steht ein mobiles RFA-Gerät (Niton XL3t Hybrid+, Analyticon) für diese Untersuchungen zur Verfügung.

Die Makro-RFA ist eine Weiterentwicklung dieser Methode, bei der durch das rasterförmige Aneinandersetzen zahlreicher Messpunkte ein Flächenbild der Elementverteilung erzeugt wird, das Rückschlüsse auf die verwendeten Materialien erlaubt. So lassen sich größere Flächen und sogar komplette Gemälde untersuchen. Sogenannte Mappings bilden dabei die Verteilung jedes einzelnen Elements ab. Je nach Fragestellung können auch zwei oder mehr Elemente auf einem Mapping überblendet werden. Dies spielt bei der Identifikation verwendeter Pigmente eine entscheidende Rolle.

Besonders hilfreich kann die Methode bei der Untersuchung übermalter Gemälde sein. Die Makro-RFA macht Farbschichten sichtbar, die unter der Übermalung liegen. Allerdings sind die dafür erforderlichen komplexen Geräte bislang sehr selten. So verfügen in Deutschland lediglich drei museale Einrichtungen über einen RFA-Scanner.

Der RFA-Scanner zu Gast am GNM

Am GNM bestand schon länger der Wunsch, zwei mittelalterliche Altartafeln mittels Makro-RFA genauer unter die Lupe zu nehmen. Die Gemälde wurden bereits vor einigen Jahren im Rahmen der Forschungsprojekte zur Spätmittelalterlichen Tafelmalerei am GNM eingehend untersucht. Dabei stellte sich heraus, dass die Bilder vollflächig übermalt sind. Jedoch konnten längst nicht alle Fragen in Bezug auf die verborgene Darstellung beantwortet werden. Eine Makro-RFA schien daher vielversprechend.

 

Das Doerner Institut in München besitzt eine solche Anlage sowie das entsprechende Fachwissen zur Auswertung der gewonnenen Daten. Im Rahmen der langjährigen Kooperation zwischen dem IKK und dem Doerner Institut konnte der RFA Scanner (M6 JETSTREAM, Bruker) vorübergehend im GNM installiert werden. Dr. Heike Stege und Jens Wagner, zwei Experten des Münchner Instituts, begleiteten und betreuten das Gerät. Die Messungen an den Gemälden fanden an zwei aufeinanderfolgenden Tagen über insgesamt etwa 16 Stunden statt.


Fall 1: Der hl. Lazarus – eine Wiederauferstehung in Bildern

Eines der beiden untersuchten Gemälde ist die übermalte Außenseite eines kleinen Flügelaltars. Der Altaraufsatz entstand um 1489 in Nürnberg und gehörte einst zur Ausstattung des Nürnberger Pilgerhospitals St. Martha. Die farbenfrohen Malereien der Innenseite des Altärchens zeigen Szenen aus dem Leben der heiligen Martha. Der Mittelteil des Retabels hat einen Großteil seines Figurenschmucks verloren. Vor über 200 Jahren wurden Teile des Altars mit einer Marmorierung übermalt.

Durch die vorangegangenen Forschungen war bereits bekannt, dass sich unter der Übermalung der Außenseiten zwei Heiligenfiguren verbergen. Im Röntgenbild sind die Umrisse der Figuren sowie Inschriften zu erkennen. Über die Inschriftenreste „S·laza[…]“ ließ sich die Figur des rechten Flügels als Marthas Bruder Lazarus identifizieren. Der heilige Lazarus, der selten als Einzelfigur dargestellt wird, ist jedoch nur schemenhaft zu erahnen.

Die klassische Röntgenaufnahme bildet die Malereien der Innen- und Außenseite des Altarflügels gleichzeitig ab. Die Darstellung des Heiligen wird dadurch von den Martha-Szenen auf der Flügelinnenseite überlagert. Der Makro-RFA-Scan hingegen liefert ein erstaunlich klares Bild, auf dem sogar die Hände und das Gesicht des Mannes sowie die Falten seines Mantels zu sehen sind.

Die unterschiedlichen Elementbilder geben weitere, unerwartete Details preis. So zeichnen sich im Kupfer-Mapping am Boden rechteckige Fliesen ab und im Gewandfutter wird ein Rautenmuster sichtbar. Am Schwertgriff und am Untergewand des Heiligen ist Quecksilber nachweisbar, das im roten Pigment Zinnober enthalten ist. Sowohl der Heiligenschein als auch eine lange Halskette sind golden.

Doch die Makro-RFA könnte uns auf eine falsche Fährte locken, denn was im vorliegenden Mapping als Gold wiedergegeben wird, ist in Wirklichkeit Zwischgold - ein Bi-Metall aus Silber- und Goldfolie.

Beim Scan konnte jedoch kein Silber nachgewiesen werden. Dank der Messungen mit dem mobilen RFA-Gerät des GNM wissen wir aber, dass der Nimbus mit Zwischgold belegt und die Schwertklinge versilbert ist. Das Fehlen von Silber in den aktuellen Messungen hängt mit den vorab festgelegten Einstellungen am RFA-Scanner zusammen. Dieser erfasst nämlich nur dann zuverlässig alle relevanten Elemente, wenn ihm dazu ausreichend Zeit zur Verfügung steht. Denn manche Elemente erzeugen eine schwächere Fluoreszenz, die nur bei sehr langen Messzeiten aufgezeichnet werden kann. Da die Messungen am GNM in einem zeitlich begrenzten Rahmen stattfanden, konnte der Scanner das Element Silber nicht identifizieren. Bei einer Verlängerung der Messzeiten um weitere acht Stunden wären die Befunde auch in unserem Fall exakter.

Grundsätzlich kann die Makro-RFA nur chemische Elemente unterscheiden, nicht jedoch die tatsächlich verarbeiteten Blattmetalle und Farbpigmente. Daher bedürfen die Ergebnisse in Bezug auf die verwendeten Malmaterialien immer einer weiteren Interpretation.

Beispielsweise können im Kupfer-Mapping gezeigte Bildbereiche mit unterschiedlichen Farben gestaltet sein, weil das Element Kupfer in blauen, grünen und schwarzen Pigmenten enthalten sein kann. Welche Farbe also letztendlich auf dem Gemälde verwendet wurde, kann nur die mikroskopische Untersuchung klären: Auf unserem Gemälde sind die Bodenfliesen mit Kupfergrün gemalt, das Mantelfutter hingegen mit Kupferblau. Auch der Hintergrund der Figur war einstmals leuchtend blau.

 

Die beeindruckenden Visualisierungen der Makro-RFA-Scans erfordern also immer eine Interpretation und Einordung, am besten in der Zusammenschau mit Mikroskopie und punktueller Elementbestimmung.

Eine Farbrekonstruktion des heiligen Lazarus bleibt damit immer noch eine Hypothese und Annäherung. Sie vermittelt jedoch endlich eine Vorstellung davon, wer sich unter der weiß-braunen Marmorierung verbirgt. Dabei war es ein besonderer Glücksfall, dass sich die Farbzusammensetzung der Übermalung so grundlegend von der des Lazarus unterscheidet. Die RFA-Mappings sind dadurch ungewöhnlich einfach zu deuten.

Fall 2: Drei in Einem – Krönung, Martyrium und Schmerzensmutter

Das zweite Tafelgemälde stellt in dieser Hinsicht eine größere Herausforderung dar. In der Makro-RFA war es schwieriger, Original und Übermalung voneinander zu unterscheiden.
Das untersuchte Fragment war Teil eines größeren Altarretabels, das um 1440 im Umkreis des Meisters des Heisterbacher Altars in Köln entstand. Auf der Vorderseite ist die Krönung Mariä dargestellt, auf der Rückseite waren ursprünglich Apostelmartyrien zu sehen. Diese wurden wohl im 17. Jahrhundert übermalt, sodass nach der Demontage des Retabels heute nur noch das linke obere Viertel einer Schmerzensmutter zu erkennen ist.

Die Makro-RFA konnte die bisherigen Erkenntnisse bestätigen und verdichten. Röntgenaufnahme und Blei-Mapping der RFA offenbaren jedoch deutlich die Schwierigkeiten bei der Betrachtung der Bilder: Da in allen Farbschichten bleihaltige Malmittel verwendet wurden, überlagern sich mehrere Darstellungen. Während auf der Röntgenaufnahme gleichzeitig drei Szenen zu sehen sind– die Marienkrönung, Apostelmartyrien und das Fragment der Schmerzensmutter – wird die Interpretation der ursprünglichen außenseitigen Bemalung im Blei-Mapping erheblich vereinfacht.

Der Gekreuzigte und die Inschrift S bartholomeus heben sich hier deutlich vom Hintergrund ab. In der Zusammenschau mit den Mappings für Kupfer und Quecksilber offenbaren sich weitere, bislang unerkannte Details: Der Farbwechsel der Hintergründe von Blau in der oberen zu Zinnoberrot in der unteren Szene oder die Physiognomie und das Gewand des Apostels am unteren Bildrand.

Lazarus und Apostelszenen sind Dank der jüngsten Untersuchung wieder sichtbar geworden. Die Scans ermöglichen einen völlig neuen Blick auf die mittelalterlichen Malereien. Sie vermitteln uns eine Vorstellung, wie die Bilder vor über 500 Jahren aussahen und welche Materialien die Maler verwendeten – und das, ohne den Gemälden Proben zu entnehmen.

Mit der Makro-RFA steht Restaurator*innen und Kunsthistoriker*innen ein weiteres Verfahren zur Verfügung, das aus der kunsttechnologischen Forschung nicht mehr wegzudenken ist. Dies zeigen auch aktuelle internationale Forschungsprojekte am Mauritshuis, Rijksmuseum und Städelmuseum.

In unserer Online-Publikation bieten wir weitere faszinierende Einblicke in die Tiefen unserer spätmittelalterlichen Gemälde.

 


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Kommentare

15.05.2024 | Irmgard Puchtinger-Schulz

Ich bin begeistert: Alle Achtung für Ihre unermüdlichen Nachforschungen. Es ist schön, dass die Institute sich gegenseitig unterstützen!


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