Vorratshaltung und Küchendesign
Wie hamstert man richtig?
Heute bedeutet Lebensmittelbeschaffung für die meisten Einwohner westlicher Industrieländer einen Gang zum nächstgelegenen Super- oder Wochenmarkt. Lebensmittel sind leicht und schnell verfügbar, viele ursprünglich saisonale Produkte sind das ganze Jahr über käuflich zu erwerben. Kühlschrank und Gefrierfach ermöglichen eine lange Lagerung auch von verderblichen Nahrungsmitteln. Heute kämpfen wir deshalb mit einem anderen Problem − der Lebensmittelverschwendung.
So schreibt die Welthungerhilfe zur Situation in Deutschland:
Allein in Privathaushalten landen rund 55 Kilogramm [Lebensmittel] pro Kopf und Jahr im Müll.
Dieser Umstand wäre für frühere Generationen noch undenkbar gewesen. Beschaffung und Lagerung von Nahrungsmitteln bedeuteten zeitlichen Aufwand, Wissen und finanzielle Möglichkeiten.
Der Luxus des Hamsterns
Vorräte anlegen zu können bedeutete, insbesondere in der Stadt, über Jahrhunderte hinweg einen Luxus, den sich oft nur wohlhabendere Menschen leisten konnten. Es setzte eigenen Wohnraum mit ausreichend räumlichen Ressourcen für eine Vorratskammer und/oder einen Keller voraus. Meist waren die Wohnbedingungen so beengt, dass man nicht bevorraten konnte – wenn denn überhaupt die finanziellen Mittel für die Beschaffung vorhanden waren.
Die Lebensmittelversorgung unterlag deutlicher den Schwankungen des Marktes. Missernten und daraus resultierende Knappheit und Preiserhöhungen stellten für den Lebensalltag vorwiegend ärmerer Schichten lange Zeit eine existenzielle Bedrohung dar. Auch Jahreszeiten beeinflussten die Auswahl an Lebensmitteln stärker, als wir das heute gewohnt sind. Obst und Gemüse konnten nur saisonal gekauft werden. Geschlachtet wurde überwiegend im Winter. Diejenigen, die über das nötige Wissen und finanzielle Mittel verfügten, konnten Lebensmittel in der entsprechenden Jahreszeit erwerben und für die weniger guten Monate vorbereiten. Das sparte Geld und sorgte gleichzeitig für eine abwechslungsreiche Kost das ganze Jahr hindurch. Zur Konservierung gab es eine Vielzahl von gängigen Methoden: Einsalzen und -zuckern, Trocknen, Kalken, Einmachen, Einlegen in Essig, Fermentieren, Dörren, Einkochen und Räuchern.
Der saisonabhängige Lebensmittelkauf und die Pflege der Lagerbestände gehörten zu den täglichen, mitunter zeitintensiven Aufgaben. Es durfte nicht versäumt werden, beispielsweise regelmäßig faulendes Obst oder auskeimendes Gemüse auszusortieren und die Bestände zu kontrollieren. Verdarben die Vorräte, waren nicht nur Ressourcen und Arbeit vergeudet, sondern es konnte auch ernstzunehmende gesundheitliche Folgen haben.
Sicher speisen – Essen und Hygiene
Erst ab der Mitte des 19. Jahrhunderts änderte sich dies. Durch die Industrialisierung setzte ein tiefgreifender sozialer und wirtschaftlicher Strukturwandel in Deutschland ein. Vor allem in den Städten verschärfte sich durch eine zunehmende Urbanisierung und starkes Bevölkerungswachstum das soziale Ungleichgewicht. Daraus resultierten häufig Massenelend, Landflucht und katastrophale Wohn- und Ernährungszustände. Diese Missstände ließen die Rufe nach Reformen und Verbesserung der Zustände in vielen Bereichen lauter werden und trieben soziale und gesundheitliche Entwicklungen voran. Es kam in Bezug auf die Versorgung und die Hygiene im Lebensmittelbereich zu grundlegenden Veränderungen.
Neue bakteriologische Erkenntnisse zeigten, dass viele unter Umständen tödliche, weit verbreitete Erkrankungen in Zusammenhang mit verunreinigten Nahrungsmitteln und mangelnder Lebensmittelhygiene standen. Beispielsweise verursacht verschmutztes Wasser Krankheiten wie Cholera, unsauberes Einkochen oder verdorbenes Fleisch können zu Botulismus führen und das Trinken von Rohmilch stand mit einer Vielzahl von Krankheiten in Zusammenhang, unter anderem mit der auf den Menschen übertragbaren Rindertuberkulose. Methoden wie Sterilisieren und Pasteurisieren der Milch nahmen diese Gefahr.
Mit diesen Erkenntnissen ging eine Steigerung des Hygienebewusstseins einher.
Niedergeschlagen hat sich dies einerseits in Kontrollen und Normierungen in der ab den 1870er Jahren entstehenden Lebensmittelindustrie, deren Bedeutung gerade bei der Versorgung der Stadtbevölkerung stetig wuchs.
Anderseits mündeten die neuen Erkenntnisse auch in dem Versuch, Privatleben und Wohnraum nach gesünderen Kriterien zu gestalten. Unter anderem hatten sich die Sozial- und Lebensreformbewegungen die Verbesserung der allgemeinen Lebensbedingungen zum Ziel gesetzt. In Abgrenzung zur Industrialisierung und zu den als staubig-überfüllt empfundenen Wohnungen mit ihrem „Biedermeiermief“ wurden die „gesunde“ Gestaltung des Lebensraumes sowie die „richtige“ Ernährung in den Fokus gerückt. So schrieb der Mediziner Vincenz Czerny:
Du sollst […] kräftige, gesunde Nahrung genießen, Reinlichkeit in jeder Hinsicht beobachten und eine trockene, sonnige, gut gelüftete Wohnung bewohnen.
Kommentare
15.08.2020 | Jeannette Stein
Das ist ein toller Artikel, danke! Ich glaube, dass wir Menschen in den letzten Jahren, immer mehr meinten, das Konsumieren, wäre so wie es war, selbstverständlich . Immer mehr für immer weniger Geld am besten täglich kaufen, ohne uns Gedanken über die Herkunft und Lagerung machen zuu müssen. Was mich auch immer wieder verwirrt, ist die Behauptung wir sollen am Besten kein Fleisch und nichts Geräuchertes essen, weil es so gesundheitsschädigend ist. Früher ass man m.E. mehr gesundheitsschädigendes, gepökeltes, Eingemachtes usw. Ein seltsames Thema. | KRISTIN BECKER ANTWORTET: Liebe Frau Stein, es freut uns, dass Ihnen der Artikel gefallen hat! Ja, der bewusste Umgang mit Lebensmitteln wird viele Menschen angesichts einer wachsenden Weltbevölkerung und Veränderungen durch den Klimawandel in Zukunft sicherlich weiter beschäftigen. Ein maßvoller, ressourcen- und gesundheitsbewusster Konsum, besonders auch von Fleisch, ist ein aktuelles Thema. Vor der industriellen Massentierhaltung war der tägliche Genuss von Fleisch, Frischem wie Konserviertem, einer kleinen Oberschicht vorbehalten, finanzielle Möglichkeiten und Verfügbarkeit regulierten den Fleischverzehr in der breiten Bevölkerung.