Spätgotische Malerwerkstätten arbeiteten mit einem Repertoire an sogenannten Kopftypen. Wolgemuts Mitarbeiter gestalteten die Physiognomien ihrer Figuren häufig mithilfe sehr ähnlicher Formeln. Neben künstlerischen Routinen ist dies der Verwendung gezeichneter Vorlagen geschuldet. Der Betrieb verfügte über einen umfangreichen Schatz an Entwurfszeichnungen, Studien und Skizzen – gleichsam das Bildgedächtnis der Werkstatt. Wie Samples kombinierten die Maler Figurenfindungen und Kopftypen immer wieder neu.
Nur durch akribisches Vergleichen mit anderen Gemälden ist es möglich, ein Werk einer bestimmten Werkstatt oder gar einem speziellen Mitarbeiter innerhalb des Betriebs zuzuschreiben. Auf diesem Wege gelang es, den Werkstattmitarbeiter zu identifizieren, der federführend für die Malereien des Retabels zuständig war.
Zwar kennen wir ihn nicht namentlich, doch muss er innerhalb der Werkstatt eine bedeutende Stellung innegehabt haben. Er führte eine Reihe von Aufträgen weitgehend in Eigenregie aus, darunter Teile des Peringsdörffer-Retabels in der Nürnberger Friedenskirche, das Katharinenretabel des Levinus Memminger oder das Keiper-Epitaph in St. Lorenz.
Ein kaiserliches Bildprogramm
Etwa zehn Jahre nach der Entstehung des Kaiserfensters von St. Lorenz wandten sich Friedrich III. bzw. seine Agenten also erneut mit einem Auftrag an Michael Wolgemut. Der Kaiser erkannte das ideologische Potenzial, das der Nürnberger Burgkapelle innewohnte.
Durch die Errichtung seines Retabels markierte er die kaiserliche Kapelle für sich. Dadurch stellte er sich in die Tradition seiner Vorgänger auf dem Thron. Noch dazu stand im Jahr der Altarstiftung ein Reichstag in Nürnberg bevor. Sicherlich sollte das neue Retabel in diesem Kontext präsentiert werden. Nicht zufällig wählte der Kaiser für die Aufstellung den nördlichen Seitenaltar. Gegenüber in der Westwand hatte er einen neuen Zugang zur Kapelle schaffen lassen, sodass der Blick jedes Eintretenden sogleich auf seine Stiftung fiel.
Das Bildprogramm der verbrannten Gemälde erscheint künstlerisch wie inhaltlich zunächst eher konventionell. Waren die Flügel geöffnet, sah man vier der Freuden Mariens: die Verkündigung an Maria und die Marienkrönung, die Geburt Christi und die Auferstehung. Es handelt sich um schlichte Kompositionen, die fast ohne besondere erzählende Elemente auskommen. Jedoch lässt sich auch auf den Fotografien noch erkennen, dass die Gemälde mit einem reich verzierten Goldgrund geschmückt waren.
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