Hallo, Dr. Sabine Tiedtke

Dr. Sabine Tiedtke | 23.06.2023


Andrea Langer Wir freuen uns, dass wir Sie wieder am GNM begrüßen dürfen und für ein Ausstellungsprojekt gewinnen konnten. Bitte stellen Sie sich unseren Leser*innen kurz vor.

Sabine Tiedtke 2007 war ich als Praktikantin am Germanischen Nationalmuseum tätig. In diesem Jahr gab es eine große Sonderausstellung zur Nürnberger Goldschmiedekunst. Das interessierte mich besonders, weil ich vor meinem Studium eine schulische Ausbildung zur Goldschmiedin gemacht habe. Das Praktikum zeigte mir, wo ich nach meinem Studium arbeiten wollte: im Museum.

Seitdem habe ich an unterschiedlichen Orten und Projekten gearbeitet, die alle eines gemeinsam hatten. Es waren immer Tätigkeiten, die in enger Verbindung mit einem Museum standen. Mehrere Jahre war ich am GNM. Hier entwickelte sich das Thema meiner Doktorarbeit zum Nürnberger Glasschnitt des 17. und 18. Jahrhunderts. Kurze Zeit war ich freiberuflich am Erlanger Stadtmuseum tätig. Von 2016 bis 2019 zog ich für ein Volontariat am Fränkischen Freilandmuseum nach Bad Windsheim.

Zuletzt arbeitete ich bei einem Forschungsprojekt an der Justus-Liebig-Universität Gießen mit. Im Zuge des Projekts „Glas. Material, Funktion und Bedeutung zwischen 1600 und 1800 in Thüringen“ erforschten wir die Glassammlungen von vier Thüringer Museen. Zum Abschluss präsentierten wir unsere Ergebnisse in vier Ausstellungen in Arnstadt, Bad Frankenhausen, Rudolstadt und Sondershausen.


Der Blick in Ihre Vita verrät, dass das Thema Glas eine besondere Rolle spielt. Was fasziniert Sie an diesem Material?

Glas ist unglaublich vielseitig: Transparent oder undurchsichtig, bunt oder farblos, widerstandsfähig und gleichzeitig zerbrechlich. Genauso vielseitig findet es Anwendung, z. B. als Fenster, Glühbirne, Trinkglas, Flasche, für Brillen und als Schmuck. Mich fasziniert die Ästhetik des Materials. Es kann Licht reflektieren und in verschiedenen Farben funkeln oder ganz fein und zurückhaltend daherkommen.

Für uns ist Glas heute selbstverständlich und oft ein Wegwerfprodukt, beispielsweise als Verpackungsmaterial für Lebensmittel. Aber in früheren Zeiten war ein durchsichtiges Trinkgefäß etwas Besonderes, das sich nicht jeder leisten konnte. Große Fensterscheiben, wie sie heute an jedem Haus angebracht sind, waren zunächst ebenfalls nur für soziale Eliten erschwinglich. Klare Fensterscheiben lassen Tageslicht in die Wohn- und Arbeitsräume und schützen gleichzeitig gegen die Witterung. Es ist kaum vorstellbar, wie anders sich das Leben der Menschen gestaltete, als Glas noch nicht so einfach verfügbar war, wie heute.

Auch in der Wissenschaft spielte das Material eine entscheidende Rolle: Ohne geschliffene Linsen funktioniert kein Mikroskop, kein Fernglas und kein Teleskop.


Geben Sie unseren Leser*innen einen kleinen Einblick, auf was sie sich in Ihrer Ausstellung freuen können.

Die Sonderausstellung Meisterwerke aus Glas eröffnet am 20. Juli 2023. Es werden viele unerwartete Objekte zu sehen sein, die bisher in den Depots verborgen waren. Zunächst einmal zeigen wir in chronologischer Reihenfolge Trink- und Tafelgefäße, von der Antike bis in das 20. Jahrhundert. Es werden sowohl kostbare venezianische Gläser zu sehen sein, als auch einfachere Trinkgefäße aus grünem Waldglas. Scherzgefäße, die ein besonderes Handling erfordern, gibt es heute noch, zum Beispiel Trinkstiefel.

Im Museum haben sich derartige zur Unterhaltung gedachte Gläser aus dem 17. und 18. Jahrhundert erhalten. Im 19. Jahrhundert gab es große Gegensätze in der Glasgestaltung: Beispielsweise standen vielfarbige, dickwandige, geschliffene Becher schlichten Objekten aus farblosem Glas gegenüber.

Über diese kunsthandwerklichen Stücke hinaus zeigt die Ausstellung schlaglichtartig Einblicke viele Sammlungsbereiche, denn überall ist Glas in unterschiedlichen Funktionen zu finden: Gläserne Musikinstrumente, wie eine Querflöte und eine Trompete, werden zu sehen sein. Auch im Bereich der Medizin und Alchemie zeigt sich die Bedeutung des transparenten Materials: Gläserne Destilliergefäße ermöglichten die Beobachtung des chemischen Vorgangs. Bevor es Kunststoff und Gummi gab, wurden sogar Milchpumpen für Stillende aus dem zerbrechlichen Material gefertigt. Ebenso erscheint es uns heute eher seltsam, dass es gläsernes Spielzeug gab.


Gibt es Objekte, deren Funktion oder Handhabung Sie noch zu lösen haben?

Grundsätzlich gibt es viele offene Fragen, obwohl im Bereich der Trinkgefäße die Funktion ja eindeutig erscheint: Sie sind zum Trinken da. Aber wie genau wurden sie benutzt und zu welchem Anlass? Das Gewicht und der Schwerpunkt eines Gefäßes ändern sich, wenn es mit Flüssigkeit gefüllt ist. Viele Objekte sind in ihrer Funktion erst zu verstehen, wenn sie – natürlich unter gesicherten Bedingungen – ausprobiert werden können.

Beispielsweise konnten wir einen venezianischen Tischbrunnen mit destilliertem Wasser testen. Der Versuch zeigte, dass der Tischbrunnen mit etwa einem viertel Liter Flüssigkeit gefüllt wurde, die dann über mehrere Röhrchen bis in die unterste Schale floss. Kleine nach oben gerichtete Rohrabschnitte sorgten dafür, dass die Flüssigkeit in Mini-Fontänen nach oben sprudelte. Ganz unten ist ein weiteres langes Röhrchen angebracht, aus dem die Flüssigkeit – vermutlich Wein – dann wie aus einem Strohhalm getrunken werden konnte [Das Video zu diesem Versuch können Sie  dann in der Ausstellung sehen.]

 


Alle Exponate stammen aus der Sammlung des GNM. Haben Sie ein Lieblingsobjekt oder eine überraschende Geschichte zu einem Objekt?

Eines meiner Lieblingsobjekte ist das Teeservice, das Heinrich Löffelhardt (1901–1979) Ende der 1950er Jahre entworfen hat. Er bezog sich dabei auf einen Entwurf von Wilhelm Wagenfeld, den er modernisierte. Die Tassen zeigen die Form eines umgedrehten Kegelstumpfes, den die Kanne wiederum gedoppelt aufgreift. Die Teller und Untertassen sind viereckig mit gerundeten Ecken, die auch in der Kontur der Kanne wiederzufinden sind.

Die Formen sind schlicht, das Glas ist dünnwandig und die Oberfläche unverziert. Gerade dadurch wirkt das Service so elegant und zeitlos. Darüber hinaus war der Entwurf besonders auf Funktionalität sowohl in der Herstellung als auch in der Nutzung ausgelegt. Der Deckel der Kanne mit nach oben gezogenem Rand verhinderte beispielsweise, dass Kondenswasser beim Einschenken über die Kanne lief. Auch fast ein Dreiviertel-Jahrhundert nach dem Entwurf wirken die Formen immer noch modern und bringen die Eleganz des Glases voll zur Geltung!

 


Herzlichen Dank für das Gespräch, liebe Frau Tiedtke. Ich wünsche Ihnen alles Gute am GNM und freue mich auf die Ausstellung.

Für unsere Leser*innen haben wir hier die aktuellen Informationen zur Ausstellung zusammengestellt.


Kommentare

19.02.2024 | hermann kirchhoefer

Guten Morgen Frau Dr. Tiedtke, gestern konnte ich meine Frau dafür gewinnen die Austellung zum Glas zu besuchen. Ich möchte kurz einige Anmerkungen machen: (1) die Aussage, dass Glas weitgehend "unzerstörbar sei" - Stöße ausgenommen - gegen Ende der Ausstellung sollten Sie korrigieren; man kann Glas z.B. mit Chemikalien (meist auf Basis von Fluor) behandeln. Dieses Ätzen von Glas wird nicht nur in der industr. Technik sondern auch in der Kunst eingesetzt , siehe https://www.vdg-ev.org/fileadmin/media/VDG-N/2019/01/VDGN-01-2019-%C3%84tzen_von_Glas.pdf (2) ich fand es schade, dass an der Ausstellung die Glasfaser spurlos vorüber gegangen ist, gleichgültig ob für Technik oder Marketing. (3) auch finde ich es überraschend, dass Sie bei der Ausstellung bekannte Nürnberger Firmen der jüngeren Geschichte völlig ausgeblendet haben (https://www.eschenbach-optik.com/index.html , https://www.silloptics.de/, .... Ich persönlich finde die Ausstellungsstücke zum venezianischen Glas am ansprechendsten, abgesehen von modernen Glasfenster von G. Richter oder M. Chagall, die in Nürnberg nicht thematisiert waren. viele Grüsse Hermann Kirchhöfer


26.06.2023 | Rita Wolkersdorfer

Das ist wirklich alles sehr interessant und vieles davon wusste ich gar nicht. Ich freue mich auf die Ausstellung und insbesondere auf das Video mit dem Trinkbrunnen. Und: Das Glasservice würde ich sofort bei mir zu Hause aufnehmen! So zeitlos elegant! | GNM_BLOG ANTWORTET: Herzlichen Dank für anerkennendes Feedback.


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