Mit Reifrock auf Abstand

Thomas Aufleger M.A. | 24.04.2020


der reifrock: aber bitte mit abstand!

Was im Jahr 2020 vollkommen undenkbar erscheinen mag – aufwendig und zeitraubend, unpraktisch und körperfeindlich – könnte am Ende vielleicht doch…? Mit einem Augenzwinkern werfen wir heute einen Blick auf die wechselvolle Geschichte der Damenmode und schlagen dabei einen Bogen – genauer, einen Reifen – in die aktuelle Krisenzeit.

Satte 1,5 oder – noch besser – 2 Meter Distanz zu unseren „Nächsten“, das raten derzeit Experten auf der ganzen Welt. Um uns diese Vorgabe zu erleichtern, hatten ausnahmslos alle Modehäuser ihre Pforten für mehrere Wochen geschlossen: Kleidung, so hieß es, sei nicht lebensnotwendig. Völliger Quatsch, finden wir! Denn eine unschlagbare – und jahrhundertealte – Methode des „modischen“ social distancing präsentiert uns heute eine der mächtigsten Frauen der Weltgeschichte. Und zwar weitab von Schlabber-Shirt und Jogginghose!

Auf unserem lebensgroßen Staatsportrait, das der Wiener Hofmaler Martin van Meytens um 1745 schuf, präsentiert die junge Kaiserin Maria Theresia nämlich ein Kleidungsstück, das bereits im 15. Jahrhundert erfunden wurde und in zahlreichen Varianten Generationen von Damen begleiten sollte: den Reifrock.


mit fischbarten auf abstand

Unter schwerem dunkelblauen Samt, der mit aufwendigen Silberstickereien und funkelndem Diamantschmuck kontrastiert, spannt sich ein weit ausladendes Gestell. Es bestand aus Fischbein, den Barten von Blau- und Buckelwalen. Diese langen, faserigen Platten dienen im Oberkiefer der Tiere dazu, Plankton und Kleinstlebewesen zur Nahrungsaufnahme aus dem Meerwasser zu filtern. Mittels eines aufwendigen Prozesses in feine Plättchen und dünne Stäbe aufgespalten und mit Hilfe von Hitze zurechtgebogen, weist das hornartige Material eine außergewöhnlich stabile Elastizität auf.

Diese Kombination führte zu seiner Jahrhunderte andauernden Beliebtheit bei der Herstellung von modischen Accessoirs, aber auch beispielsweise als Füllmaterial von Möbelbezügen. Erst in der Zeit um den Ersten Weltkrieg, als – lange nach dem Reifrock – auch das Korsett endgültig aus der Welt der Couture verbannt wurde, senkte sich der Bedarf nach dem vormals so begehrten Fischbein (und mit ihm die Anzahl der getöteten Wale) drastisch.


der reifrock: alles andere als figurbetont

Als integraler Bestandteil weiblicher Mode besaß der Reifrock in der ausgehenden Renaissance die Form eines Kegels. Dieser hatte zum Ziel, die natürlichen Formen des Körpers zu negieren und ihn in eine kunstvolle Symmetrie einzupassen. Allgemein als verdugado, Hüter der Tugend, bezeichnet, sollte er seine Trägerinnen nicht zuletzt vor zudringlichen Männeraugen schützen (…). Daneben galt es, die Brust mit Metallplatten und gesteiften Polsterungen abzubinden: allzu betonte Körperlichkeit galt als verpönt, als Inbegriff der Ursünde. Einzig die Hände und das Gesicht sollten sichtbar sein.

Bei Maria Theresias Reifrock hingegen handelt es sich um den sogenannten panier. Dieser wurde während des Ankleidens am Schnürmieder der Dame, einem Vorläufer des Korsetts, befestigt. Sein oval um den Körper gespanntes Gestell erinnert stark an die Form eines Korbes (franz. panier) und war in Maria Theresias Jugendzeit hochmodern. Ob er allerdings auch praktisch war? Das Zuhause der Kaiserin, die Wiener Hofburg, verfügt zwar über außerordentlich breite Flügeltüren; beim Hindurchgehen hieß es aber häufig trotzdem: bitte wenden! Der Erfindungsreichtum der barocken Modeschöpfer und die erwähnte Elastizität der Fischbeinstäbe führten aber auch hier zu einer pfiffigen Lösung: dem klappbaren Reifrock, der bei Bedarf per Handgriff auf die Hälfte seines Umfangs reduziert werden konnte! Wie jedoch das oben abgebildete „Spottblatt“ verrät, stießen die immer üppiger geformten Reifröcke (und mit ihnen die hochaufragenden, federgeschmückten Haartürme) nicht bei allen Zeitgenossen auf Gegenliebe.

Unsere Herrscherin aber stört der außerordentliche Umfang ihres Untergewandes offenbar wenig. Und: mit einer Spannweite, die die eigene Körperlänge noch übertrifft, kann ihr auch niemand so schnell zu nahetreten. Selbst der eigene Ehemann nicht: das zugehörige Bildnis Kaiser Franz Stephans, ihres geliebten „Mäusl“, hängt nämlich – Corona-vorschriftsmäßig – mehrere Meter entfernt.

 

Und von der Mode einmal abgesehen: einen weiteren unschlagbaren Vorteil hätte die Kaiserin angesichts von home office und social distancing gegenüber modernen Familien gehabt: für ein jedes ihrer insgesamt 16 (!) Kinder stand ein gleich mehrköpfiges Team von Ammen, Kinderfrauen, Dienerschaft und Lehrpersonal zur Verfügung!

Übrigens: Wenn Ihr mehr über Reifröcke und die Mode des 18. Jahrhunderts erfahren wollt, schaut gerne hier vorbei.

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Kommentare

29.04.2020 | Stefan Maier

Schöner Blogbeitrag


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