Scherzgläser

Dr. Sabine Tiedtke | 01.12.2023


Scherze mit Trinkenden

 

Im Bierzelt herrscht feucht-fröhliche Stimmung. Bekleckert sich hier ein Besucher oder eine Besucherin ungewollt mit einem Getränk, kann das schon zur Belustigung des Publikums führen.

Mit Scherzgefäßen werden solche Effekte geradezu herausgefordert. Sie spielten schon im 16. und 17. Jahrhundert in der Festkultur eine wichtige Rolle. Dabei unterhielten sie die Gäste auf unterschiedlich überraschende Weise. Bei der Nutzung entstand ein besonderer Effekt oder es musste ein bestimmter Kniff bekannt sein, um aus dem Gefäß trinken zu können. Sie wurden aus verschiedenen Materialien hergestellt, wie Silber aber auch aus zerbrechlichem Glas. In der Ausstellung Meisterwerke aus Glas ist eine Vitrine mit solchen Gefäßen bestückt und zeigt, welch verrückte Formen sie haben können. So unterschiedlich wie ihre Gestaltung ist auch ihre Funktion.

 


Trinkstiefel


Bis heute gibt es Scherzgläser in Form eines Stiefels, Trinkstiefel genannt. Beim Trinken entsteht aufgrund der Stiefelspitze ein Unterdruck und der Inhalt ergießt sich im schlimmsten Fall schwallartig über den oder die Trinkende. Auch das Germanische Nationalmuseum besitzt ein kleines Exemplar, das bereits im 18. Jahrhundert, vermutlich in einer böhmischen Glashütte hergestellt wurde. Der Trick besteht darin, den Stiefel beim Trinken so zu halten, dass die Spitze nicht nach oben, sondern zur Seite ausgerichtet ist.


Gluckerflasche

Andere Scherzgläser erzeugen einen besonderen Klang beim Trinken oder Ausschenken. Die in der Ausstellung präsentierte Gluckerflasche wird lautmalerisch auch als Glogló bezeichnet.

Ihr Körper besteht aus vier übereinander angeordneten Hohlkugeln. Beim Ausschenken ist ein Gluckern zu hören. Es entsteht durch die Luft, die nach und nach in die Hohlkugeln einströmt, während das Getränk ausgegossen wird.

Ähnliche Gefäße gab es auch als Pokal geformt, mit in der Größe gestaffelten Kugeln. Hier entstand das Gluckern beim Einschenken, wie Sie im Video des Schlossmuseums Arnstadt hören und sehen können.


"Hansel im Keller"

Ein sehr fein verzierter Pokal, der auf die Geburt eines männlichen Nachkommens verweist, ist ebenfalls zu den Scherzgefäßen zu zählen. Direkt unter der Kuppa, der Trinkschale, weist er eine große Hohlkugel auf. In dieser befindet sich ein kugelförmiger Glashohlkörper mit langem Hals, der als Schwimmkörper dient.

Er ist oben von einer kleinen vergoldeten Figur bekrönt, einem Putto, die mit erhobenem linken Arm einen Lorbeerkranz hält. Wurde der Pokal mit einer Flüssigkeit gefüllt, schnellte das Männchen nach oben. Dies stellte sinnbildlich die Geburt eines Kindes dar.

Die Figur wurde auch als „Hansel im Keller“ bezeichnet. Dies war in Scherzgedichten die Bezeichnung für ein männliches Kind im Mutterleib.


Hirschglas

 

Ein zwiespältiges Vergnügen stellte das Trinken aus einem Hirschglas dar. Gestaltet als Pokal oder Becher, haben sie alle einen Aufsatz, der in einen oder mehrere hohle Hirschkörper endet. Am Boden des Trinkgefäßes ist ein Stab befestigt, auf den der Hirsch geschoben wird. Der Aufsatz verhinderte, dass vom Lippenrand des Gefäßes getrunken werden konnte. Wurde das Gefäß mit einer Hand gehalten, wandte sich der Hirsch durch sein Gewicht jeweils in die Richtung, in die das Gefäß gekippt wurde. Also musste an seinem Maul gesaugt werden, was eher peinlich war.

Es gab Varianten bei dem gleichzeitig ein Loch am Hinterteil mit dem Finger verschlossen werden musste. Das Hirschglas in der Ausstellung „Meisterwerke aus Glas“ weist kein solches Loch auf. Beim Trinken entstanden blubbernde Geräusche. Für die Festgesellschaft war es zudem wohl erheiternd zu beobachten, wie ein Gast einen Hirsch „küsste“.


Dehnbares Kelchglas

Einzigartig und äußerst fragil ist ein Kelchglas, das sich jahrelang unbeachtet im Depot des Germanischen Nationalmuseums befand. Der runde Fuß, der aus mehreren Hohlkugeln gebildete Schaft und die leicht auseinanderlaufende Kuppa weisen darauf hin, dass das Glas in den südlichen Niederlanden im 17. Jahrhundert entstand.

Wenn man ganz genau hinschaut, ist auf der Kuppa, der Trinkschale, eine silbrige umlaufende Linie zu erkennen. Das ist keine Verzierung die oberflächlich aufgebracht wurde, sondern hier ist ein umlaufender Schnitt durch die Glasmasse zu erkennen.

Der obere Teil des Pokals besteht eigentlich aus einer Spirale! Und es wird noch verrückter. Das Glas lässt sich auseinanderziehen: Ganz vorsichtig am oberen Rand angefasst und nach oben gezogen lösen sich die spiralig gelegten Windungen voneinander. Das zerbrechliche Material wirkt fast elastisch.

Was hat es mit diesem Trinkglas auf sich? Schriftliche Quellen deuten darauf hin, dass Gläser dieser Art einmal weit verbreitet gewesen sein müssen.

Es gab verschiedene Techniken um das Glas so zu bearbeiten, aber alle beruhten auf dem Prinzip des thermischen Trennens: Punktuelle Hitzeeinwirkung erzeugte Spannungen und führte so zum Bruch. Beispielsweise ritzte man die die Oberfläche erst rundherum an. Diese Linie wurde anschließend mit einem brennenden bzw. glühenden Docht nachgefahren und so sprang das Glas.

Angeblich konnte aus diesen Gläsern weiterhin getrunken werden. Allerdings nur, wenn man den Trick kannte: Das Glas musste beim Trinken gegen die Stirn oder den Nasenrücken gedrückt werden, so dass sich die Windungen nicht verschieben konnten. Verschoben sie sich doch, brach das Glas und das Getränk ergoss sich über die trinkende Person.

Kaum zu glauben, dass dieses Gefäß sich über so viele Jahre erhalten hat und nicht kaputtgegangen ist! Weitere Informationen zu diesem elastischen Kelchglas finden Sie im KulturGut 2023/IV.

 

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